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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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Viehdiebe in dieses Tal gekommen waren. Und der Boden war zwar karg, aber er nahm trotzdem Spuren auf. Wäre hier eine große Schar Feinde vorübergezogen, dann wäre das unübersehbar. Awin sah Mewe den Jäger, der sich von seinem Rappen hinunterbeugte und den Boden absuchte.
    »Warum stürmen wir nicht einfach hinein und überraschen den Feind?«, fragte Eri ungeduldig.
    Der Yaman schnappte diesen Vorschlag auf und sagte: »Hört, ihr Männer, wir wissen nicht, was uns hier erwartet. Mewe, du wirst mit den Jungkriegern voranreiten. Bale, du und Tuwin, ihr bildet mit den Frauen den Schluss. Rüstet euch zum Kampf.«
    »Hakul!«, antworteten die Männer mit dem alten Schlachtruf ihres Volkes.

    Awin hatte als Junge eine Mutprobe bestehen müssen. Sie bestand darin, die Maske eines Kriegers zu entwenden und ihr einfach nur lange in die leeren Augenhöhlen zu schauen. Er erinnerte sich gut daran, wie er in Tuges Zelt geschlichen war, die Maske vom Zeltpfahl genommen und in ein Tuch gehüllt hatte. Alle Kinder wussten, dass die Schmiede den Masken Zauberkräfte gaben. Wer in ihre Augen schaute, konnte von diesen Kräften gefangen und gelähmt werden. Awin erinnerte sich mit Schaudern daran, wie er die überraschend leichte Bronzemaske in den Händen gehalten hatte. Sie hatte wenig Ähnlichkeit mit einem menschlichen Gesicht. Ein schmaler Spalt für den Mund, ein stumpfes Dreieck für die Nase, die beiden runden Löcher anstelle von Augen.
    Er hatte sich gefürchtet, aber dann doch tapfer in die leeren Augen gestarrt, weil ihn die anderen Knaben, Ebu voran, verhöhnt hatten. War es Zauberei? Er hatte gemerkt, wie ihm die Glieder schwer wurden, der Atem immer flacher ging. Er hörte die anderen lachen und ihn verspotten, aber er konnte seinen Blick einfach nicht von den leeren Augen wenden. Ech hatte den Spuk schließlich beendet, indem er ihm die Maske einfach aus der Hand genommen hatte. Noch einen halben Tag lang hatte Awin unter einem Gefühl der Taubheit in seinen Fingern gelitten. Diese Erinnerung kam nun wieder hoch, denn die Yamanoi, die erfahrenen Krieger, die an der Seite des Yamans reiten durften, befestigten die Kriegsmasken an ihren Helmen. Bald waren die vertrauten Gesichter hinter ausdrucksloser Bronze verschwunden. Ein leiser Pfiff von Mewe riss ihn aus seinen Gedanken. Es sah so aus, als sollten die jungen Krieger Gelegenheit bekommen, sich auszuzeichnen. Sie waren nur leicht gepanzert und beweglicher als die Maskenreiter. Sollte sie ein Feind erwarten, würden sie ihm mit Pfeilen einen Gruß senden und sich schnell zurückziehen. Dann würde sich zeigen,
ob der Gegner auch einem Angriff der Yamanoi standhalten konnte.
    »Wurde aber auch Zeit«, knurrte Mewe, als Awin herantrabte.
    In langsamem Schritt ritten sie voraus. Der Talgrund war recht weit, und Mewe schickte die anderen Jungkrieger an die Flanken. Sie rückten vorsichtig vor, den Blick auf die steilen Hänge gerichtet. Hinter jedem Stein konnte ein Feind lauern. Die Bögen hielten sie in den Händen. Mehr als einmal zuckten sie zusammen, weil plötzlich ein Schaf oder eine Wollziege hinter einem Felsen hervorsprang. Awin suchte die Grate und Felsblöcke ab, ohne etwas zu entdecken. Das Licht wurde allmählich dämmrig. »Wir werden keine Feinde dort finden«, sagte er schließlich leise.
    Mewe, der schon die ganze Zeit den Blick nur auf den Boden gerichtet hielt, sah ihn scharf an. »Hat der Geier mit dir gesprochen, junger Seher, oder der Wolf?«
    Awin schüttelte den Kopf. »Es gibt keine Wölfe in diesen Bergen, heißt es. Und siehst du irgendwo auch nur einen Raubvogel?«
    Mewe hielt sein Pferd an. »Wenn es keine Zeichen der Weberin gibt, was verschafft dir dann diese Gewissheit, Awin, Kawets Sohn?«
    Auch Awin zügelte seinen Falben. »Wenn dort hinten im Tal Feinde wären, dann würden die Geier am Himmel kreisen und sich nicht an ihre … Beute heranwagen.« Beute - das konnte auch ein Tier sein. Awin wusste es besser, aber er verbot sich, Elwah und die seinen aufzugeben. Vielleicht waren sie wirklich nur verletzt oder gefangen.
    »Es sei denn, der Feind versteckt sich in einem der Seitentäler«, widersprach Mewe knapp. Awin wunderte sich, dass sich der Jäger auf dieses Gespräch einließ. Dies war keine Probe seiner
Fähigkeiten, dies war ein Ritt, der sie in einen Kampf führen konnte.
    »Das mag sein«, gab Awin zu, »aber entweder ist er nicht sehr zahlreich, oder er kann fliegen, denn ich kann seine Spur nicht sehen.«
    Mewe strich

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