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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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seinem Vater, denn denen hat er die Kehlen im Schlaf durchgeschnitten.«
    Awin hörte zu. Anak war sein bester Freund gewesen. Er fühlte eine Taubheit dort, wo eigentlich Schmerz sein sollte. War es für Trauer noch zu früh?
    »Im Schlaf? Was für ein Krieger ist das, der seine Feinde im Schlaf ermordet!«, rief Yaman Aryak angewidert aus.
    »Ich war auf vielen Kriegszügen dabei, wie ihr wisst, und habe vielen Feinden ins Gesicht gesehen, doch ich muss sagen, dass dieser Mann mir unheimlich ist. Denn nach seiner Tat hat er gegessen, dort am Feuer, mitten unter den Leichen. Dort liegt der Holzteller, noch mit Resten bedeckt. Es war wohl etwas übrig von dem Mahl, das Elwah oder einer seiner Söhne zubereitet hatte.«
    Awin spürte einen Schauer über seinen Rücken laufen. Was für ein Mensch war fähig, in solcher Lage zu essen?
    »Noch befremdlicher ist, dass er am nächsten Tag ein zweites Feuer entfacht hat, weiter drüben«, fuhr der Jäger fort. »Er hat einen Hammel getötet und zwei Schenkel gebraten. Von einem liegen die Knochen dort, der andere fehlt, also hat er ihn vielleicht mitgenommen.«
    »Vielleicht wollte er die Leichen bei Tage nicht sehen«, meinte der Yaman nachdenklich.
    »Das ist möglich, vielleicht haben ihn auch nur die Fliegen gestört, die inzwischen sicher …« Mewe schüttelte den Kopf und beendete den Satz nicht. Dann erklärte er: »Er muss recht lange dort gesessen haben, denn es scheint, als seien die Geier erst spät vom Himmel herabgekommen, sonst …« Auch diesen Satz beendete der Jäger nicht. Stattdessen sagte er: »Ich weiß nicht, was für ein Mann das ist. Hätte er nicht Waffen verwendet, würde ich glauben, dass es ein Daimon war, denn ich verstehe den Sinn seiner Handlung nicht. Und ich verstehe nicht, wie Lewe davongekommen ist.«

    »Sein Herz ist schwarz, und das Böse braucht keinen Grund für böse Taten«, warf Curru ein.
    »Hast du Zeichen gesehen, alter Freund, die uns erklären, was hier geschehen ist?«
    »Der Flug der Geier war unruhig, Aryak. Sie wissen, dass uns ein Unglück widerfahren ist. Aber sie schweigen über die Ursache.«
    »Und du, junger Seher?«, wandte sich der Yaman jetzt an Awin.
    Curru blickte überrascht auf, und Awin zuckte unwillkürlich zusammen. Es war noch nie vorgekommen, dass der Yaman sich an Awin wandte, wenn Curru nicht weiterwusste. Er musste schlucken, bevor er antwortete: »Ich sehe auch keine Zeichen, die uns das erklären, ehrwürdiger Yaman.« Das war nur die halbe Wahrheit, denn es gab Hinweise, aber die waren nicht im Flug der Aasfresser zu finden. Der Yaman spürte wohl, dass das noch nicht alles war. »Aber?«, fragte er.
    »Mir ist aufgefallen, dass ihre Dolche verschwunden sind«, stieß Awin hervor.
    Curru lachte verächtlich. »Als hätten wir das nicht schon längst bemerkt.«
    »Dann hättest du es vielleicht erwähnen sollen, alter Freund«, entgegnete Aryak nachdenklich.
    »Es ist kein Seherzeichen«, widersprach Curru.
    »Aber es ist wichtig«, warf Mewe ein. »Ich habe es auch bemerkt, aber nicht darauf geachtet. Doch der Junge hat Recht. Es sagt etwas aus über den Mann, der diese Tat verübte.«
    »Und was soll das sein?«, fragte Curru verächtlich.
    »Die Schafe und Ziegen sind noch hier. Also war es kein Viehdieb. Ich dachte zuerst, er hätte vielleicht nur einige wenige Tiere davongetrieben, dann hätte es ein Hakul sein können: ein Jungkrieger, der sich beweisen will, oder ein Mann, dessen
Sippe Not leidet. Vielleicht sogar ein alter Feind Elwahs, der eine Rechnung zu begleichen hatte. Aber kein Hakul würde den Blutdolch eines anderen stehlen.«
    »Fehlt nicht eines der Pferde?«, fragte Awin schüchtern.
    »Es mag sich in den Seitentälern verlaufen haben«, schnaubte Curru.
    Mewe starrte Awin nachdenklich an. »Wieder hat der Junge Recht.«
    »Also ein Pferdedieb?«, fragte der Yaman zweifelnd.
    Awin durchfuhr ein Gedankenblitz. Es war ein Bild. Eine große, zerbrochene Steinplatte, über die eine grüne Eidechse huschte. Er verstand nicht, wo dieses Bild herkam oder was es ihm sagen wollte. Er blinzelte verwirrt. Was hatte der Yaman gerade gesagt?
    »Nein, kein Pferdedieb, denn sonst hätte er alle mitgenommen, nicht bloß eines«, widersprach Mewe.
    »Dann kann es ein Späher gewesen sein«, meinte Curru.
    »Und was wollte der hier ausspähen? Und wenn er einem feindlichen Heer vorausgeht, wäre es doch sehr unklug, durch Mord unsere Wachsamkeit zu wecken«, hielt Mewe ihm entgegen. »Nein, ich

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