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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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Fünf fehlten. Erst jetzt wurde ihm bewusst, was es für den Klan bedeutete, wenn Elwah und seinen vier Ältesten wirklich etwas Schlimmes zugestoßen sein sollte.
     
    Sie waren bereits zwei Stunden unterwegs, als hinter ihnen ein Pfiff ertönte. Der Yaman ließ den Zug halten. Awin beschattete die Augen und starrte nach hinten. Es tat gut, dem Wind und dem feinen Staub für einen Augenblick den Rücken zudrehen zu können. Vier Reiter waren dort aufgetaucht. Vier? Der Yaman ließ sie zwar nicht absitzen, erlaubte aber seinen Männern, sich mit Trockenfleisch und Wasser zu stärken, während sie auf die
Nachzügler warteten. Awin grinste. Der vierte Reiter war eine Reiterin.
    »Ist das deine Tochter, Tuwin?«, fragte der Yaman, mehr verblüfft als verärgert.
    Der Schmied seufzte nur, statt zu antworten.
    »Wenn uns jemand sieht, wird er denken, wir reiten zu einem Fest und nicht in die Schlacht«, brummte Curru missvergnügt. Er hielt das Feldzeichen der Sippe, die Sgerlanze, immer noch in seiner Rechten. Für gewöhnlich wurde sie sonst nur kurz vor der Schlacht gezeigt und bei Aufbruch und Heimkehr, aber offensichtlich wollte der Seher den Männern den Ernst der Lage vor Augen führen.
    »Wer hat dir erlaubt, uns zu folgen?«, fuhr der Schmied seine Tochter an, als die vier den Zug endlich erreicht hatten.
    »Niemand, aber es hat mir auch niemand verboten, Baba«, lautete die schlichte Antwort.
    »Ich hätte mehr Vernunft von dir erwartet, Bale«, wandte sich Tuwin nun an den Pferdezüchter.
    Dieser blickte ihn erstaunt an. Er war weit mehr außer Atem geraten als seine jüngeren - und schlankeren - Begleiter. Sein Pferd keuchte. Jetzt holte er tief Luft und sagte: »Es ist deine Tochter, nicht meine, wofür ich den Göttern dankbar bin. Hast du nicht vorhin noch ihre Klugheit und Verständigkeit gelobt, Tuwin?«
    »Sie ist verständiger als du, Bale. Ich nehme an, du hast sie mitnehmen müssen, damit sie dir den Weg zeigt.«
    Bale lief rot an. »Müssen? Ich bin schon über diese Hügel geritten, als du noch nicht geboren warst, Tuwin. Ich kenne hier jeden Grashalm und jeden Busch, und ich kenne meinen Pfad. Kannst du das auch von dir und der Frucht deiner Lenden behaupten?«
    Plötzlich lenkte der Yaman seinen Fuchs zwischen die beiden
Streithähne. Er blickte finster von einem zum anderen und sagte: »Ich denke, wir können eine weitere heilende Hand gut gebrauchen, falls Elwah oder einer seiner Söhne verletzt sein sollte. Also mag sie bleiben. Und jetzt müssen wir weiter.«
    Awin konnte sehen, dass Bale und Tuwin noch nicht miteinander fertig waren, doch Aryaks strenger Blick ließ keine weiteren Sticheleien zu. Also begnügten sie sich vorerst mit finsteren Blicken. Wela versuchte, sich bei den Jungkriegern einzureihen, aber ihr Vater befahl sie zur Enttäuschung Awins an seine Seite. Sie zogen weiter, und Yaman Aryak trieb zur Eile. Es war bereits Nachmittag, und sie wollten das Grastal, in dem sie Elwah vermuteten, noch vor Sonnenuntergang erreichen. Zweimal bot Aryak den Frauen eine kurze Rast an, aber sie lehnten ab. Das Gelände stieg mehr und mehr an, die Hügel wuchsen, und ihre Hänge wurden abschüssiger. Endlich ragten die Schwarzen Berge steil vor ihnen auf. Awin war noch nicht sehr oft hier gewesen, und jedes Mal erstaunte es ihn aufs Neue, wie unvermittelt die dunkelgrauen Felsen aus der Erde brachen.
    Der Sage nach hatten sich die Vorfahren der Hakul hierher geflüchtet, als die Welt gewandelt wurde, und Kalmon, der Gott dieser Berge, hatte seine schützende Hand über sie gehalten. Fürchterliche Stürme hatten damals alles zermalmt, was in der Ebene war, und tiefe Furchen in diese Felsen geschnitten, die einst ein einziger Berg gewesen waren. Nur die, die bis zum Gipfel geflohen waren, hatten überlebt. Die Alten erzählten, dass man in diesen Schluchten noch heute die Schreie der Unglücklichen hören könne, die damals von den Stürmen zerrissen worden waren. Awin wusste, es war nur der Wind, der von Zeit zu Zeit um die Felsen pfiff und heulte, aber ein Rest der kindlichen Furcht war ihm geblieben und meldete sich jetzt wieder zu Wort.
    »Ist das dort Mewe?«, fragte Karak.

    Awin war dankbar dafür, dass ihn sein Nachbar aus den Gedanken riss, und kniff die Augen zusammen. Ein Reiter näherte sich schnell. Natürlich war das Mewe, wer sollte es sonst sein? Er fragte sich, welche Botschaft der Jäger wohl bringen mochte. Der Yaman ließ den Zug halten und ritt dem Späher mit Curru ein

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