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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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fühlte er sich, als würde er in den Rachen eines Raubtieres steigen. Hier war etwas Böses vonstattengegangen - und es konnte sie alle verschlingen.
     
    Ein kurzer Gang führte sie zur eigentlichen Grabkammer. Stumm betrachteten sie das Bild der Verwüstung, das sich ihnen darbot. Die Tonkrüge mit Nahrung waren zerschlagen worden, die Kisten mit Schmuck und Waffen waren umgestürzt, und - am schlimmsten - auch der Sarkophag war aufgebrochen worden. Der steinerne Deckel lag, in vier Teile geborsten, auf dem nackten Boden. Der Yaman überwand als Erster die heilige Scheu, die sie alle empfanden. Er trat an den Sarg und blickte lange hinein. Seiner Brust entrang sich ein gequältes Stöhnen. »Er hat sogar die Gebeine berührt und die Ringe gestohlen«, sagte er schließlich.
    Mewe untersuchte die Kisten und Krüge. »Er hat alles mitgenommen, was von Wert war. Von den Speeren hat er die silbernen Spitzen abgebrochen, und dort liegt ein silberbeschlagener Brustpanzer, der ihm wohl zu schwer war. Aber er hat die Silbernägel herausgezogen. Einige hat er verloren. Er war wohl in Eile.«
    Yaman Aryak hörte kaum zu. Unverwandt starrte er in den Sarg.
    »Und - der Heolin?«, fragte Curru plötzlich.
    Der Yaman beugte sich tief über den Sarg, verharrte lange so.
Schließlich drehte er sich um. Sein Gesicht war wie versteinert. »Er ist fort.«
    Awin war, als würde man ihm den Boden unter den Füßen wegziehen. Der Heolin. Nichts war den Hakul heiliger als der Lichtstein.
    »Wir sind verloren«, sagte Curru tonlos.
    Aryak hob den Kopf. Es war nur eine winzige Bewegung, aber Awin sah, wie er sich straffte. »Das sind wir nicht!«, entgegnete er entschlossen. »Ein Dieb war hier und hat uns bestohlen, und er hat fünf der unseren im Schlaf ermordet. Das wird er bald bedauern. Wir werden ihm folgen, und wir werden ihn finden. Er wird sterben. Hatte er Helfer, werden wir auch diese töten. Gehört er zu einem Klan, werden wir diesen für seine Verbrechen bestrafen. Schützt ihn eine Siedlung oder Stadt, werden wir sie zerstören. Als Sger oder als Stamm, wenn es erforderlich ist. Ja, ich bin zwar kein Seher wie du, alter Freund, aber ich sage dir voraus, dass sich unser ganzes Volk vereinen wird, um dieses Verbrechen zu sühnen - wenn es die Speere unseres Sgers nicht schaffen.«
    Awin konnte den Blick nicht von dem Sarg wenden. Dort lag der berühmteste und größte aller Hakul.
    Der Yaman seufzte tief, dann fuhr er fort: »Aber vorerst, vorerst ist das eine Angelegenheit unseres Sgers. Wir sind der Klan der Schwarzen Berge. Dies sind unsere Weiden. Ich werde mich sicher nicht an Heredhan Horket wenden und um Hilfe bitten, wenn es sich nur irgend vermeiden lässt.«
    »So weit werden wir es nicht kommen lassen«, erwiderte Curru ernst.
    Awin nickte stumm. Dazu durften sie es einfach nicht kommen lassen. Horket war ein gefährlicher Mann, der erste Heredhan seit Menschengedenken, der dem alten Titel wieder echte Macht verliehen hatte - und niemand in Aryaks Klan hatte seinen
Machthunger so schmerzhaft gespürt wie Awin. Die dunklen Erinnerungen an die Flucht durch die Steppe und die Tränen seiner Mutter, als sein Vater sich für immer von ihnen verabschiedete, kamen wieder hoch. Er biss die Zähne zusammen und trat an den Sarg. Es war besser, sich neuen Schrecken zu stellen, als die Gespenster der Vergangenheit heraufzubeschwören.
    »Was tust du, junger Seher?«, fragte Mewe erschrocken.
    Awin antwortete nicht. Er hoffte, dass es den Ahn jetzt nicht mehr störte, wenn ein weiterer Hakul seinen Leichnam sah. Da lag er nun vor ihm, im flackernden Licht ihrer Fackeln. Schatten tanzten über die sterblichen Überreste. Er trug ein halb zerfallenes, langes ledernes Gewand. Seine Rippen waren darunter sichtbar. Sein Schädel lag dort, zur Seite gekippt. Es waren noch Reste von Haaren zu erkennen. Vielleicht hatte er einen wertvollen Stirnreif getragen, den der Räuber ihm vom Haupt gerissen hatte. Die Finger seiner Linken waren gebrochen worden, einzelne Glieder fehlten. Es war, wie der Yaman gesagt hatte, der Dieb hatte sich wohl der Ringe bemächtigt. Seine Rechte war in einen ledernen Handschuh gehüllt. Das also war die Hand, die den Heolin von Edhils Sonnenwagen gebrochen hatte. Er wandte sich ab.
    »Hast du etwas gesehen?«, fragte ihn der Yaman.
    Awin schüttelte den Kopf.
    »Du bist und bleibst eine Enttäuschung«, sagte Curru kalt. »Ich hoffe sehr, dass du ihn nicht zu sehr verärgert hast, junger

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