Der Sohn des Sehers 01 - Nomade
können.«
»Aber drei Frauen, alleine mit dieser stattlichen Herde? Lass mich und die meinen ihnen helfen.«
Der Yaman starrte Bale finster an. »Hast du nicht begriffen, was hier vor sich geht, Bale? Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen.«
»Aber wenn ich es richtig verstehe, ist es nur ein Räuber. Brauchst du da wirklich alle Männer des Sgers?«
»Jeden Mann, Bale, der eine Waffe halten kann. Und das kannst du doch - oder hat deine Hand vergessen, wie sich ein Schwert anfühlt?«
»Sicher nicht, Aryak, sicher nicht. Doch sieh mich an. Ich bin alt geworden. Mein Pferd ist langsam. Ich werde euch eher aufhalten als nutzen.«
»Dein Pferd ist langsam, weil du nicht nur alt, sondern vor allem dick geworden bist, Bale von den Hammelkeulen. Wenn du erst einmal eine Woche im Sattel gesessen und nichts als trockenes Fleisch gegessen hast, wird es deinem Pferd schon leichter fallen, dich zu tragen, glaube mir. Und nun geh und sieh nach, ob du für morgen alles bereit hast. Wir müssen vor dem Morgengrauen los.«
Als der Pferdezüchter gegangen war, näherte sich Tuwin der
Schmied dem Yaman. »In einem hat der Alte Recht, er wird uns eher aufhalten als nutzen.«
Der Yaman nickte. »Ich weiß es, Tuwin, aber ich will ihn nicht als einzigen Mann im Lager haben. Er ist ein Querkopf und Unruhestifter.«
»Wohl wahr, dennoch sollten wir den Frauen ein oder zwei junge Krieger mitgeben. Ich dachte an Eri. Er ist ein Hitzkopf, und ich fürchte, er versteht nicht, wie ernst diese Sache ist.«
Aryak seufzte. »Er ist jung, aber er wird schnell lernen, und ich will ihn an meiner Seite haben. Aber vielleicht hast du Recht. Was ist mit Marwi, Meryaks Sohn? Er ist der Jüngste unseres Sgers.«
»Eine gute Idee«, lobte Tuwin. »Wenn du willst, werde ich mit seinem Vater reden.«
»Ja, das wäre gut, mein Freund, denn es gibt so vieles, um das ich mich noch kümmern muss. Und du, junger Seher«, wandte er sich plötzlich an Awin, »solltest mehr auf die Zeichen der Nacht als auf die Gespräche der Männer lauschen.« Und damit ging er davon.
Awin hörte Tuwin lachen und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Er zog sich ans Feuer zurück und starrte schweigend in die Flammen. Karak bot ihm ein Stück Trockenfleisch an, aber ihm war der Appetit vergangen. Er dachte wieder an die zerbrochene Steinplatte und die Eidechse. Hatte er das wirklich vorhergesehen? Es war so unwirklich. Inzwischen kam es ihm eher vor, als würde ihm seine Erinnerung einen Streich spielen. Einige Zeit später trat Curru zu Awin und forderte ihn leise auf, ein Stück mit ihm zu gehen. Er folgte ihm mit einem unguten Gefühl. Ob es wohl um die Gespräche ging, die er zufällig mitgehört hatte? Als sie außer Hörweite waren, blieb Curru stehen und blickte in den Himmel. »Siehst du die Sterne, mein Junge?«
Awin blickte nach oben. Es war eine klare Nacht, und der tiefschwarze Himmel zeigte sich übersät mit Gestirnen.
»Ja, Meister«, antwortete Awin.
»Die Akkesch glauben, dass man aus den Sternen die Zukunft lesen kann.«
»Können sie das, Meister?«
»Die Sterne sind weit fort und nur in der Nacht am Himmel. Was können die schon über unsere Tage wissen? Die Akkesch sind Narren. Sie leben in Häusern aus Stein und beackern mühsam immer denselben Boden. Sie wissen gar nichts.«
»Ja, Meister.«
»Und darin gleichen sie dir, mein Junge.«
Awin schwieg. Das hatte ihm an diesem schrecklichen Tag noch gefehlt, dass Curru ihn zum zweiten Mal zurechtwies.
Der Alte fuhr fort: »Ich muss dir leider sagen, dass der Yaman deinetwegen besorgt ist. Ja, du hast ihn enttäuscht.«
»Aber was habe ich denn getan?«, fragte Awin erschrocken.
»Du hast die Zeichen geleugnet und dann das, was du zu Tuge über Skefer gesagt hast.« Awin biss sich auf die Lippen. Also hatte der Bogner doch über ihre kurze Unterhaltung gesprochen.
»Tuge fand es sogar unterhaltend, dich so abfällig über unseren alten Feind reden zu hören, aber der Yaman denkt nicht so. Und ich ebenfalls nicht«, schloss Curru streng.
»Ja, Meister, aber welche Zeichen habe ich geleugnet?«
»Das Pferd und die Schlucht. Als ich diesen Wink der Weberin Tengwil erahnte, bist du mir ins Wort gefallen. Und so verblasste der Gedanke, bevor ich ihn fassen konnte.«
Awin schwieg, denn der Vorwurf war ebenso falsch wie ungerecht. Er war es, der das Pferd erwähnt hatte, und Curru hatte seinen Hinweis, dass eines fehlte, mit einer verächtlichen Bemerkung beiseitegewischt.
»Nun, Awin,
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