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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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ich mache dir keinen Vorwurf«, behauptete Curru, »auch ich war einst jung und übereifrig.«
    Awin hatte Schwierigkeiten, sich vorzustellen, dass sein Ziehvater wirklich einmal jung gewesen war, behielt aber auch diesen Gedanken für sich.
    »Jedenfalls will ich, dass du dich in Zukunft zurückhältst mit deinen vorschnellen Bemerkungen, wenigstens solange wir auf diesem Kriegszug sind. Und glaube mir, mein Junge, es geht mir nicht darum, dass der Yaman seine Verärgerung über dich an mir auslässt, das bin ich inzwischen leider gewohnt. Nein, ich befürchte, du könntest dauerhaft in Ungnade fallen. Du weißt selbst am besten, dass deine Verbindung zu unserem Klan nur schwach ist, Awin, Kawets Sohn. Ich habe Sorge, sie könnte ganz reißen.«
    Jetzt war Awin wirklich beunruhigt. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass der Yaman so schlecht auf ihn zu sprechen war. »Reißen, Meister?«
    »Ja, das befürchte ich. Der Yaman ist ein geduldiger Mann, doch ist dies eine schwierige und dunkle Zeit. Er kann sich keine Fehler leisten und keinen Ärger durch einen vorlauten jungen Seher. Und was wird aus deiner Schwester, wenn du in Ungnade fällst?«
    »Aber …«, begann Awin.
    »Ich will kein Aber und keine Widerworte mehr hören, Awin. Zu deinem eigenen Besten. Verstehst du das?«
    Awin verstand es nicht, aber ihm war klar, dass er das Wohlwollen Currus brauchte, wenn er wirklich beim Yaman in Ungnade gefallen war. Also schluckte er den aufwallenden Zorn hinunter und sagte: »Ja, Meister, ich verstehe.«
    »Gut, du bist doch ein verständiger junger Mann, wenn auch nicht so klug, wie du glaubst. Deshalb rate ich dir noch einmal, dich zurückzuhalten. Rede nur, wenn du gefragt wirst - und vor
allem gewöhne dir ab, mir zu widersprechen. Das macht einen schlechten Eindruck.«
    »Ja, Meister«, murmelte Awin verdrossen.
    »Gut, dann geh jetzt. Und bete zu den Göttern, dass sie endlich die Blindheit von dir nehmen, junger Seher.«
     
    Sie brachen noch vor dem ersten Licht des Tages auf. Das Vieh, das sich im Tal zerstreut hatte, war über Nacht zur Wasserstelle zurückgekehrt und drängte sich zusammen, als würden selbst Ziegen und Schafe spüren, was hier geschehen war. Die Männer sattelten ihre Pferde schweigend. Selbst die erfahrensten Krieger wirkten tief beunruhigt. Awin selbst kam es vor wie ein böser Traum. Die ermordeten Freunde, der aufgebrochene Sarg, die geraubten Schätze und vor allem der verschwundene Heolin. Das alles war doch eigentlich undenkbar. Wie konnten die Götter zulassen, dass so etwas geschah?
    Über ihm verblassten die Sterne. Er zog seinen Sattelgurt fest und stieg auf. Niemand sprach ein Wort. Er sah Sigil, Hengil und Wela am Feuer sitzen. Sie würden die Gräber der Toten verschließen, wenn die Krieger fort waren. Der junge Marwi würde ihnen helfen. Er war der Sohn von Meryak, dem zweiten Pferdezüchter des Klans. Marwi war sicher nicht sehr glücklich darüber, dass er als einziger Mann zurückbleiben musste, aber er fügte sich der Entscheidung des Yamans ohne Widerworte. Aryak gab ein stummes Zeichen, und sie brachen auf. Sie ritten einer nach dem anderen an den offenen Gräbern ihrer Sgerbrüder vorüber. Sie hielten nicht, und sie sprachen kein Gebet. Awin blickte hinab. Noch waren die Gräber offen, aber die Gesichter der Toten lagen im Dunkeln. Dafür war er dankbar, denn er musste an das denken, was die Geier angerichtet hatten. Da lagen sie: Elwah der Träumer, sein ältester Sohn Calwah, Enyak, der so gern kochte, Sweru, der kaum älter als der junge Marwi
gewesen war, und Anak, Awins bester Freund. Eigentlich hatte Awin eine Flut von Gefühlen erwartet, aber beim Anblick der schlichten Geröllhaufen empfand er nur eine tiefe Leere. Er wandte seinen Blick ab und sah nach vorne.
    Es war eine schweigende Reihe von Kriegern, und Awin fragte sich, ob sie sich ebenso leer fühlten wie er selbst. Nur Eri, der jüngste Yamanssohn, sorgte für Unruhe, denn sein Pferd war ähnlich übermütig wie er selbst, und er musste es mit scharfen Worten zur Ordnung rufen. Seine hellen Schreie hallten von den Talwänden wider. Umso unwirklicher wirkte das tiefe Schweigen der anderen Krieger. Awin drehte sich nicht um. Er hoffte, dass ihm Wela trotzdem gute Wünsche mit auf den Weg gab. Sie stand am See und sah ihnen nach, ohne eine Regung zu zeigen. Am Himmel schwanden die letzten Sterne. Die Jagd hatte begonnen.

Slahan
    ALS SIE DIE Felsplatte vor dem Zugang zum Grastal hinter sich gelassen hatten,

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