Der Sohn des Sehers 01 - Nomade
unten lag, konnte wirklich nicht viel älter als er selbst sein.
»Ein guter Schuss«, lobte Ech, der dicht hinter Mewe geritten war.
»Wo ist Marwi?«, fragte Awin.
»Ich habe ihn aus dem Auge verloren, denn er wurde getroffen und ist zurückgefallen«, lautete Echs Antwort.
Awin erhob sich im Sattel. In der Ferne kündete eine Staubwolke davon, dass dort eine weitere Jagd im Gange war. Pferde streunten über die Ebene. Aber Isparra verhinderte mit dichten Staubschleiern, dass sie Einzelheiten erkennen konnten.
»Dort drüben!«, rief Mewe.
Jetzt sah es Awin auch. Marwi hing tief über den Sattel gebeugt auf seinem Braunen.
Als sie näher kamen, richtete sich der Jungkrieger auf und hob die Hand zu einem schwachen Gruß. »Es ist nichts«, rief er mit schmerzverzerrtem Gesicht.
»Dieses Nichts steckt aber tief in deiner Schulter, junger Freund«, antwortete Mewe.
»Ja, ich hatte ihn schon fest im Blick und hätte ihn sicher nicht verfehlt, Meister Mewe.«
Mewe schüttelte den Kopf. »Wenn du einen Skorpion jagst, junger Marwi, darfst du nie vergessen, dass er einen gefährlichen Stachel hat.«
»Ich werde es mir merken, Meister Mewe«, antwortete Marwi mit zusammengebissenen Zähnen.
»Awin, ich schlage vor, dass du diesen jungen Helden zurück zum Bach bringst. Und du, Ech, kannst mir helfen, die Pferde zusammenzutreiben. Und wenn du einen Pfeil findest, hebe ihn auf. Er könnte sonst den Verwandten dieses Jungen verraten, von wessen Bogen er abgeschossen wurde.«
Marwi behauptete zwar tapfer, dass er sein Pferd selbst führen könne, aber Mewe beharrte auf seinen Anweisungen.
Als sie zurück zum Bach ritten, fragte Marwi unvermittelt: »Werde ich den Arm verlieren?«
Awin hielt an und sah ihm ernst in die Augen: »Das wirst du nicht, Marwi, Meryaks Sohn. Meister Tuwin wird sich das ansehen, die Pfeilspitze herausnehmen und dich schneller heilen, als du denkst.«
Damit war Marwi halbwegs beruhigt. Awin wusste hingegen, dass von »herausnehmen« keine Rede sein konnte. Der Pfeil hatte Widerhaken, also würde Tuwin schneiden müssen. Und das war eine schmerzhafte Angelegenheit, die auch böse Folgen haben konnte. Am Bach trafen sie den Yaman und Curru, die sich nicht an der Jagd beteiligt hatten. Sie hoben Marwi vom Pferd und kühlten seine Wunde mit Wasser. Dabei hörten sie sich Awins kurzen Bericht an.
»Wisst ihr inzwischen, zu welchem Klan dieser Mann gehörte?«, fragte er anschließend die beiden Männer.
Curru schüttelte den Kopf. »Er hat kein Sger-Zeichen getragen, und wenn seine Söhne auch keines bei sich haben, werden wir es wohl nie erfahren.«
»Sein Dolch«, rief Awin, einer plötzlichen Eingebung folgend.
Der Yaman starrte ihn kurz an, dann gab er Curru einen Wink. Der alte Seher runzelte zwar missbilligend die Stirn über Awin, aber dann ging er zum Toten und zog den Dolch aus seinem Gürtel. Er betrachtete ihn stumm. Aus seiner Miene konnte Awin erkennen, dass er etwas gefunden hatte - etwas, das ihm nicht gefiel. Curru reichte dem Yaman wortlos die Klinge. Der nahm sie in die Hand und ließ seinen Blick lang auf dem Griff ruhen. Auf einmal sah er müde und erschöpft aus. Awin trat näher heran. Der Yaman reichte ihm die Waffe. Awin entdeckte ein Symbol, sorgfältig eingekerbt auf beiden Seiten des Griffes. Es waren drei schwarze Striche, die, wie ein Büschel Gras, nach oben hin auseinanderstrebten. Ein Sippenzeichen.
»Dies, junger Seher«, erklärte der Yaman sehr ruhig, »ist das Sger-Zeichen des Klans des Schwarzen Grases - Heredhan Horkets Sippe.«
Kurz darauf kamen Mewe und Ech zurück. Sie trieben einige Pferde vor sich her. Bale war bei ihnen. Am Zügel führte er das Pferd, auf dessen Rücken der Reiter lag, den Mewes Pfeil getötet hatte. Bale lachte und rief: »Hier bringen wir den einen, doch ist dies sicher nicht mein Verdienst. Ich glaube, ich werde langsam alt und blind. Ich bin einem herrenlosen Ross gefolgt.«
»Und der andere?«, fragte der Yaman knapp.
»Er wird noch gejagt. Unsere Krieger waren dicht hinter ihm, doch habe ich sie aus dem Auge verloren.«
Der Yaman sagte daraufhin nichts, aber Awin sah ihm an, unter welcher Anspannung er stand. Ebu und Mewe stiegen von
ihren Pferden und sahen nach Marwi, der sich die Wunde mit Wasser kühlte. Der Pfeil steckte immer noch in seiner Schulter. Curru erklärte ihnen, was sie bei dem Toten gefunden hatten. Mewe nickte grimmig, so als habe er nichts anderes erwartet. Bale wurde bleich. »Viele Sippen
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