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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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zu Tuwin zu bringen, aber er bekam sie nicht zu fassen.
    »Du solltest aufwachen, junger Seher«, sagte eine kühle Stimme.
    Er schlug die Augen auf. Merege hatte sich über ihn gebeugt. »Was?«, fragte er.
    »Mutter Senis bat mich, dich zu wecken.«
    »Senis? Ist sie hier?«
    »Nein. Bist du jetzt wach?«
    »Was?«
    »Ich denke, du weißt, was du zu tun hast«, sagte Merege, stand auf und verschwand.
    Awin setzte sich auf. Hatte er geträumt? Das Lager war still, das Wachfeuer fast heruntergebrannt. Er hörte die ruhigen Atemzüge der Schläfer. Was war geschehen? Zum Nachdenken war keine Zeit, er musste handeln, bevor der Traum verblasste. Er schälte sich eilig aus seinem Mantel und sprang auf.

    »Was ist mit dir?«, fragte die Wache, einer der Jungkrieger aus Auryds Klan.
    »Gar nichts«, behauptete Awin. Er lief schnell zu Tuwins Schlafplatz. Nur wenig später rannten sie durch die Wüste zu jenem Stein, den Senis ihm gezeigt hatte.
    »Sie blüht nur nachts, sagtest du?«, rief Tuwin, der versuchte, mit ihm Schritt zu halten.
    »So hat es die Kariwa gesagt. Hier, hier ist es.« Aufgeregt deutete er auf den Wegstein. Etwas Helles leuchtete über dem Sand.
    »Wahrhaftig«, murmelte der Schmied. »Mondfuß. Schwer zu finden, denn bei Tag liegt er im Sand. Ich kann kaum glauben, was ich hier sehe.« Dabei starrte der Schmied abwechselnd von der Pflanze zu Awin und zurück.
    »Kann es Marwi retten?«
    »Vielleicht, wenn wir uns eilen.« Vorsichtig grub Tuwin das Kraut aus dem Sand und nahm es behutsam in seine mächtigen Hände. Sie hasteten zurück ins Lager und zu Marwis Schlafplatz. Sie fanden ihn leer.
    »Der Junge! Wo ist der Junge?«, herrschte Tuwin die Wache an.
    Der Fuchs-Krieger starrte ihn verwundert an. »Er bat mich, ihn gehen zu lassen.«
    »Aber er ist verletzt, er wird sterben!«
    »Er ist ein Hakul«, antwortete der Krieger schlicht.
    Die Männer schwärmten aus. Sie fanden Marwi gar nicht weit vom Lager entfernt hinter einem Felsen. Er hielt seinen Dolch in der Hand, aber offenbar hatte die Anstrengung den Todesgott zu ihm geführt, bevor er seinem Leben selbst ein Ende setzen konnte.
    Noch in der Nacht hoben sie eine flache Grube aus, in die sie den Knaben legten. Sie bedeckten sie mit großen Steinen,
um ihn vor Löwen und Wüstenwölfen zu schützen. Curru hielt die Zeremonie kurz, aber jeder der Männer gab reichlich Mähnenhaar, denn der Verlust des Jüngsten ihres Sgers hatte sie alle hart getroffen, und sie wünschten ihm von Herzen, dass er im nächsten Leben weit mehr Pferde sein Eigen nennen würde als in diesem.
    »Mögest du immer weit vor deinen Feinden reiten«, murmelte Awin, als er sich von Marwi verabschiedete.
    Im Morgengrauen saßen sie auf und zogen weiter. Sie ritten schweigend, denn es gab vieles, über das sie nachzudenken hatten. Auch Awin war bedrückt. Erst Elwah und seine Söhne, dann die drei Hirten am Bach, danach Dege und jetzt Marwi - es waren viele Hakul gestorben, seit der Fremde in ihr Land gekommen war, und im Augenblick wussten sie nicht einmal, wo dieser Feind sich befand. Mewe ritt immer wieder weit hinaus in die Wüste, aber er fand auch jetzt keine Spur des Verfluchten. Sie ritten nach Serkesch, weil er die Stadtmauer im Traum gesehen hatte. Erst jetzt wurde Awin klar, wie aberwitzig das war. Der Mann konnte überall sein. Was waren schon Träume? Sie waren wirr und unzuverlässig - oder sie kamen zu spät wie der in der vergangenen Nacht. Awin lief ein Schauder über den Rücken. Dieser Traum war nicht von der Art gewesen, wie Träume sein sollten, viel zu klar und deutlich. Aber dennoch, er war zu spät gekommen. Vor ihm in der Reihe führte Tauru Marwis herrenloses Pferd am Zügel.
     
    Bei Sonnenaufgang erreichten sie eine weitere befestigte Wasserstelle. Hier gab es gar keine Krieger, nur einen kleinen, verlassenen Turm und einige aneinandergedrängte Häuser, deren Außenwände gleichzeitig die Mauer der Siedlung bildeten, wie es bei den Nachbarn der Hakul üblich war. Nur eine Handvoll Menschen lebte dort. Sie bestaunten die Hakul mit großen,
ängstlichen Augen und verlangten nicht mehr als ein paar Segel Kupfer für das Wasser. Awin sah ihnen an, wie erleichtert sie waren, als ihr Sger die Siedlung wieder verließ. Auch am Vormittag wurde nicht viel gesprochen, aber Awin glaubte zu bemerken, dass die Männer sich manchmal zu ihm umdrehten. Am Anfang dachte er, ihre Blicke gälten Merege, aber nach und nach schien es ihm, als ginge es doch um ihn.

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