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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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Irgendwann lenkte Mewe sein Pferd an seine Seite.
    »Was gibt es, Meister Mewe?«, fragte Awin, als der Jäger nichts sagte.
    »Ich glaube, darüber weißt du mehr als ich«, entgegnete Mewe, und als er bemerkte, dass Awin nicht verstand, erklärte er es. »Die Männer flüstern, junger Seher - du hast sie schwer beeindruckt.«
    »Ich?«
    »Dein Traum hat Tuwin zum Mondfuß geführt, Awin.«
    Für einen Augenblick wusste Awin nicht, was er sagen sollte. Er hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, wie die Männer über diesen Traum denken mochten. »Es war aber zu spät, Meister Mewe«, erwiderte er schließlich.
    »Ebu und Curru sagen das Gleiche«, erklärte der Jäger mit einem schiefen Grinsen. Dann gab er seinem Pferd die Fersen und lenkte es wieder hinaus in die offene Wüste, um nach Spuren Ausschau zu halten.
    Awin sah ihm lange nach. Dann wandte er sich an Merege. »Ich wollte, ich hätte diesen Traum früher gehabt. Dann hättest du mich früher wecken und wir hätten Marwi retten können.«
    Merege sah ihn überrascht an. »Ich habe dich nicht geweckt, junger Seher«, entgegnete sie.
    »Aber ich habe dich doch gesehen.«
    »Das kann nicht sein, denn ich wurde erst wach, als ihr nach dem Knaben suchtet.«

    Awin verstummte. Dieser Traum war ihm unheimlich. Es kam vor, dass Tengwil Botschaften schickte. Das behaupteten zumindest die Alten. Er hatte das bis vor kurzem bezweifelt, und eigentlich tat er es immer noch. Aber eines wusste er über Träume: Sie waren undeutlich und widersprüchlich, verschwommen und vieldeutig. Aber letzte Nacht? Alles war so klar erschienen. So etwas tat die Schicksalsweberin einfach nicht. Wenn aber die Botschaft nicht von ihr kam - von wem dann? Senis? Vermochte die Kariwa so etwas? Neben ihm ritt jemand, der das wissen musste. »Erscheint Senis dir auch in deinen Träumen?«, fragte er schließlich.
    »Nein«, antwortete das Mädchen schlicht. Und nach einer Pause setzte sie hinzu: »Ich glaube, sie könnte mich leicht finden, aber ich denke, ich würde sie gar nicht bemerken.«
    »Finden?«, fragte Awin.
    Merege zögerte einen Augenblick, dann fragte sie: »Hat sie deine Hand berührt?«
    Awin nickte.
    »Und deshalb kann sie dich finden. Aber verrate es nicht weiter, denn deine Sgerbrüder würden vielleicht denken, da sei Hexerei im Spiel.«
    Awin schwieg verblüfft. Wenn das nicht Hexerei war, was dann? »Aber was meintest du damit, du würdest sie nicht bemerken?«, fragte er.
    »Wenn du es nicht selbst weißt, junger Seher, dann kann ich es dir auch nicht erklären«, antwortete die Kariwa kühl.
    Und darauf wusste Awin erst einmal nichts zu sagen.
     
    Sie zogen immer weiter Richtung Süden, die zerklüfteten roten Wände des Glutrückens zur Rechten. Am Mittag zeigte sich, zunächst kaum sichtbar, aber dann immer deutlicher, eine einzelne dunkle Wolke am sonst wolkenlosen Himmel. Sie schien
von der Erde aufzusteigen, geradewegs im Süden. Die erfahrenen Krieger waren sich einig, dass ungefähr dort Serkesch liegen musste, aber sie hatten keine Ahnung, was diese graue, fast schwarze Wolke bedeuten mochte. Sie blieb den ganzen Tag über dort stehen, zog nicht weiter und wurde nicht größer.
    Am Nachmittag begegneten sie Dauwe, dem Schweigsamen, der kein Wind war, sondern vielmehr die Abwesenheit von Wind bedeutete. Awin kannte diesen Unwind, der mit erdrückender Ruhe kam. Der Hufschlag ihrer Pferde klang gleichzeitig gedämpft und unnatürlich laut. Es war drückend heiß und still. Nur der Hufschlag und das Schnauben ihrer müden Tiere, das gelegentliche Klingen eines Schwertes am Gurt und das Knarren des Zaumzeugs waren zu hören. Die Stille kroch langsam unter ihre Rüstungen und legte sich auf ihre Seelen. Niemand im Sger sprach, jeder war mit seinen düsteren Gedanken unter der sengenden Sonne allein. Und in der Ferne gaukelte ihnen Dauwe Wasser vor. So ging es bis zum frühen Abend. Dann kam eine leichte Brise von Norden über die weite Ebene. Sie kündigte sich mit einem leisen Ruf an. Der Sger hielt, ohne dass Yaman Aryak dazu einen Befehl geben musste. Es war ein dünner, heller Schrei, der aus weiter Ferne zu kommen schien. Die Pferde wurden unruhig. Für einen winzigen Augenblick dachte Awin, es könnte Marwi sein, der gar nicht tot, sondern ihnen den ganzen Tag gefolgt war. Dann erklang der Ruf wieder, und er erkannte, dass es eigentlich kein Schrei, sondern ein Wiehern war. Über dem Flimmern der Wüste tauchte ein dunkler Punkt auf. Es war ein Pferd, und

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