Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
kann diesen Strom aufhalten.«
Awin verstummte. Es lag eine gewisse Bitterkeit in Mereges Worten, als sei da noch etwas anderes, ein Geheimnis hinter dem Geheimnis, über das sie nicht reden wollte. Und sie hatte recht: Er hatte gewusst, dass es Leben kosten würde. Sie berieten noch eine Weile und kamen schließlich überein, sich von Osten, über den Heiligen Kreis, an das Heredhanzelt heranzuschleichen, denn dort standen die wenigsten Zelte. Als das geklärt war, stand Awin auf. »Komm«, sagte er.
»Wohin?«, fragte sie erstaunt.
»Ich will hinüber zu Uredh und Blohetan. Wir sind unter anderen Hakul kein ganz so leichtes Ziel, falls Curru auf den Gedanken kommen sollte, schon heute Abend etwas gegen uns zu unternehmen. Dafür bin ich bereit, die immer gleichen Geschichten, die Blohetan zum Besten gibt, zu ertragen.«
Sie waren nicht sehr willkommen an diesem Feuer. Awin konnte die Ablehnung spüren, aber sie wurden auch nicht abgewiesen. Er konnte den Kriegern auch ansehen, dass sie vor Neugierde brannten. Seine Gefährten hatten das Ahnental verlassen - warum war er noch hier? Und was hatte die Fremde noch hier zu suchen? Es war Blohetan, der diese Frage schließlich stellte, aber Awin antwortete ausweichend, dass er später noch mit Kluwe zu reden habe, aber nicht mehr dazu sagen wolle oder könne. Die Hakul waren mit der Antwort sichtlich unzufrieden, aber sie verstanden immerhin, dass er nicht darüber reden wollte. Also wandten sie sich wieder ihren eigenen Gesprächen zu.
Ein leichter Regen ging nieder, aber sie blieben trotzdem am Feuer, denn es gab viel zu besprechen. Noch einmal wurden alle Einzelheiten des Kampfes durchgegangen, geschildert, wie Horket mit einem gewaltigen Streich den Schild Eris zerschmetterte, und dann, als er schon zum tödlichen Schlag auf den am Boden Liegenden ausholte, plötzlich und unerklärlicherweise erstarrte und von Eri mit großer Leichtigkeit getötet werden konnte. Blohetan redete viel. Er schwärmte geradezu vom neuen Heredhan, der seinen Kampf gegen den doch eigentlich unbesiegbaren Horket mit solcher Leichtigkeit gewonnen hatte. Uredh war deutlich schweigsamer. Irgendwann sagte er: »Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Knabe so von den Göttern begünstigt wird.« Vermutlich dachte er wieder daran, dass er auf ihrem gemeinsamen Zug unentwegt mit dem zukünftigen Heredhan über den richtigen Weg gestritten hatte und dass er anfänglich sogar der Meinung gewesen war, dass der Heolin am Sichelsee zu bleiben habe. Awin hörte nur mit einem halben Ohr zu. Er überdachte noch einmal ihren Plan, der ihm unfertig und lückenhaft erschien, und er machte sich Gedanken um Wela, Tuge und die anderen, die das Lager verlassen hatten. Curru konnte nicht zulassen, dass sie sich ungestraft vom Klan des Heredhans abwandten. Er konnte sie auch nicht offen angreifen, schließlich waren es Verwandte, aber er würde sicher dafür Sorge tragen, dass irgendein Verhängnis auf sie wartete - eines, das mit ihm nicht in Verbindung gebracht werden konnte. Sie waren in Gefahr, und er konnte ihnen nicht helfen. Er vertrieb diesen Gedanken und fragte Uredh, dessen letzte Bemerkung ihn verwunderte: »Wirst auch du Eri die Gefolgschaft schwören, Yaman?«
Uredh nickte. »Es wäre töricht, es nicht zu tun, denn Tengwil hat ganz offensichtlich einen besonderen Faden für ihn
gewoben. Vielleicht ist es ja wirklich so, wie manche sagen - Etys ist auferstanden, in der Gestalt dieses jungen Yamans.«
Awin fragte sich, ob der große Fürst Etys ein ebensolcher Ausbund an Undankbarkeit gewesen war wie sein angeblicher Erbe Eri, aber er behielt diesen Gedanken für sich. Tat er ihm am Ende vielleicht sogar Unrecht? Eri war ein Hitzkopf, sprunghaft, unreif sicher auch, aber er war nicht so falsch und verschlagen wie Curru. Awin war sich inzwischen sicher, dass es Curru war, der Eri gegen Merege aufgehetzt hatte, damals vor Serkesch. Und auch jetzt war es der Seher, der den Knaben lenkte. Möglicherweise würde Eri seine Leichtgläubigkeit trotzdem mit dem Leben bezahlen müssen, nämlich dann, wenn er sich in dieser Nacht der Zauberin in den Weg stellte. Awin hoffte, dass er es nicht tat.
Die Stunden verrannen. Awin lauschte auf den leichten Regen und die anderen Geräusche der Nacht. Es war ein großer Tag für den Stamm, aber an den meisten Feuern ging es dennoch ruhig zu. Die Zeiten waren wohl zu unsicher und düster, um den kommenden Heredhan mit Trommeln und Gesang zu feiern. Awin
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