Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
er hat uns diesen kalten Regen geschickt, und so viele Reiter haben heute dieses Tal verlassen, dass sie es schwer haben werden, unserer Spur zu folgen. Wir werden also hier rauskommen. Aber was ist mit dir und der bleichen … mit Merege?«
»Sie ist eine Zauberin, das solltest du nicht vergessen, Wela. Um uns musst du dir keine Gedanken machen, eher um die, die sich Merege in den Weg stellen.«
»Isgi und die beiden Krieger - das war sie?«, fragte Wela leise. Sie stieg auf ihr Pferd.
Awin reichte ihr ihren Trinkschlauch und nickte stumm.
»Warum reiten wir ins Karys?«, fragte Mabak, der sein Pferd heranführte.
Sie waren lange unsicher gewesen, ob sie den jungen Krieger
mitnehmen sollten. Einweihen wollten sie ihn nicht, denn er konnte kein Geheimnis lange für sich behalten. Zurücklassen wollten sie ihn aber auch nicht. »Er redet mehr, als gut für ihn ist, aber es würde mich schmerzen, ihn unter Currus Einfluss zu sehen«, hatte Tuge gesagt und sie damit überzeugt. Also hatten sie Mabak erzählt, dass sie ins Karys reiten würden, in der Annahme, dass Curru dann davon hören würde. Es war ein ziemlich durchsichtiger Täuschungsversuch, aber wenn es die Verfolger nur ein wenig verwirrte, war es besser als nichts. Jetzt beantwortete Harmin die Frage Mabaks: »Es gibt dort eine heilige Schlucht, junger Freund«, erklärte er, »und es heißt, die Gebete, die dort reinen Herzens gesprochen werden, werden von Dhurys erhört.«
»Und worum wollen wir den Flussgott bitten? Um noch mehr Regen?«, fragte Mabak verdrossen.
»Um alle Hilfe, die wir bekommen können, junger Hakul«, antwortete Harmin schlicht und gab das Zeichen zum Aufbruch. Harmin übernahm die Spitze, seine Enkel Limdin und Dare waren hinter ihm, dann folgte das halbe Dutzend Männer aus Harmins Klan, das schon seit dem Sichelsee mit ihnen geritten war. Wela, Tuge und Mabak mischten sich unter sie. Krähen stoben auf, und Hakul gafften ihnen hinterher. Sie verließen das Tal im letzten Licht der Dämmerung, auf dem gleichen Weg, auf dem sie gekommen waren. Die Wachen oben auf dem Hügel sahen anscheinend gleichmütig zu. Niemand hielt sie auf, niemand schien nach den beiden reiterlosen Pferden zu fragen, die sie mitführten. Awin blickte ihnen nach, bis sie hinter der Hügelkuppe verschwunden waren. Das war zu einfach gegangen. Merege trat zu ihm. »Wenn Curru etwas gegen sie unternehmen will, dann wird er es sicher nicht hier im Lager tun«, sagte sie, als habe sie seine Gedanken erraten.
Awin schluckte. »Wir müssen sie warnen!«, rief er.
»Ich habe es Harmin gesagt und dem Bogner auch«, erwiderte die Kariwa gelassen.
»Und mir nicht?«
»Du reitest ja nicht mit ihnen. Außerdem solltest du dir über andere Dinge Gedanken machen, denn noch wissen wir nicht, wie wir den Heolin bekommen können. Oder hast du schon einen fertigen Plan?«
Awin entgegnete: »Im Augenblick sollten wir gar nichts unternehmen. Es wird wenigstens drei Stunden dauern, bis unsere Freunde an jenem Garam sind. Es wäre unklug, die Verfolger zu früh aufzuschrecken.«
»Das beantwortet meine Frage nicht«, sagte Merege.
Awin nickte. »Ich dachte, wir könnten einfach zu Curru gehen und ihn um eine Unterredung mit Eri bitten. Der Lichtstein wird dann nicht weit sein.«
Merege schüttelte den Kopf. »Curru wird ahnen, was wir vorhaben. Entweder wird der Lichtstein nicht dort sein, oder er ist so schwer bewacht, dass meine Kräfte nicht reichen würden.«
Awin nagte an seinen Lippen. »Dann müssen wir versuchen, im Schutz der Dunkelheit heimlich in dieses Zelt einzudringen. Und dann …« Er vollendete den Satz nicht.
»Es wird für mich leichter sein als am Glutrücken, uns dort hinauszubringen, Awin«, versprach Merege.
Ein Gedanke, den Awin lange verdrängt hatte, verlangte jetzt danach, ausgesprochen zu werden: »Aber die Reise, diese Flucht, ich meine … musst du auf jeden Fall, ich meine, musst du denn wirklich töten? Es werden nur Hakul dort sein.«
Merege sah ihn kühl an. »Ich muss Kraft von anderen rauben. Es gibt keinen anderen Weg. Doch das wusstest du vorher.«
»Aber reicht es nicht, wenn du nur ein halbes Leben nimmst? Musst du gleich töten?«, suchte Awin nach einem Ausweg.
»Du weißt nicht, wovon du redest, Seher«, antwortete Merege leise und mit einem Kopfschütteln. »Wenn ich ein anderes Leben berühre, seine schützende Hülle durchstoße, dann befreie ich einen mächtigen Fluss, der strömt, bis die Quelle versiegt. Niemand
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