Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
hatte der alte Kluwe gesagt? Wenn er versagte, würde es das Ende bedeuten. Das Ende der Welt.
Dhaud
AWIN WISCHTE SICH den Schweiß von der Stirn, hob die Hand schützend vor die Augen und blickte sich um. Es mochte fast Mittag sein. Er entdeckte zwei schwarze Punkte im Flimmern über der Wüste. Sie kamen langsam näher. Er wandte sich um. Die Reiter seines Sgers hingen müde auf ihren Pferden, und die Tiere sahen erschöpft aus. Wela sprach leise mit dem Verwundeten, der ihre Fürsorge missmutig abzuwehren versuchte. Es war Orwe, einer der Yamanoi des Fuchs-Klans.
»Wenn er bis jetzt nicht vom Pferd gefallen ist, wird er es auch weiterhin nicht tun, es sei denn, du öffnest die Wunde wieder, Heilerin«, rief Harmin spöttisch.
Awin fand, dass er wenig Grund hatte zu spotten, denn bei Orwes Verwundung hatte sich gezeigt, dass er ein weit besserer Schmied als Heiler war. Ohne Wela würde der Krieger vermutlich nicht mehr mit ihnen reiten. Die beiden schwarzen Punkte kamen rasch näher, und aus der flirrenden Luft lösten sich nun die Umrisse zweier Reiter. Es waren Limdin und Dare, die Awin vorausgesandt hatte, um den Weg zu erkunden. Die Dhaud hatte ihn gelehrt, dass es besser war, auf unangenehme Überraschungen vorbereitet zu sein. Er spülte den Staub in der Kehle mit einem kleinen Schluck Wasser hinunter, dann blickte er zurück bis zum Horizont, wie schon so oft. Aber immer noch war dort keine Staubwolke zu sehen. Harmins Enkel waren jetzt in Rufweite. Die Flanken ihrer Pferde troffen vor Schweiß.
»Es liegt ein zerstörtes Lager vor uns«, rief Limdin, der Ältere.
»Plünderer?«
»Nur Krähen und Geier, Yaman Awin.«
Yaman, so nannten sie ihn, seit sie das Ahnental hinter sich gelassen hatten, und sie ließen es sich auch nicht ausreden. Seit ihrer Flucht aus dem Ahnental führte er den Sger, er ganz allein. Er fragte Harmin und Tuge immer wieder um Rat, aber die letzte Entscheidung lag immer bei ihm. Awin richtete sich im Sattel auf. Er war also der Yaman dieses kleinen Sgers, das hieß, er musste stets mit gutem Beispiel vorangehen und durfte weder Schwäche noch Erschöpfung zeigen. Er ließ noch einmal den Blick über das karge Land schweifen. Sie waren weit gekommen. Die Furt über den Dhurys hatten sie unbewacht vorgefunden und das Weideland dahinter leer. Es gab weder Herden noch Hirten. Sie waren so lange wie nur möglich im Sattel geblieben, am Anfang waren sie auch gelaufen, wenn die Pferde Schonung brauchten, und es war an Awin, den Sger immer wieder anzutreiben. Eri, der neue Heredhan, gebot über viele Krieger aus vielen Klans, die auf viele Pferde zum Wechseln zurückgreifen konnten. Immer wieder war Awins Blick zurück über die Schulter gewandert, denn irgendwann mussten ihre Feinde doch erscheinen. Eine halbe Nacht Vorsprung, was war das schon? Awin hatte erwartet, dass ihre Flucht nach drei oder vier Tagen zu Ende sein würde. Doch die Verfolger waren nicht gekommen, nicht bis zu diesem Tag.
Am dritten Tag nach ihrer Flucht aus dem Ahnental waren sie auf Slahans Spur gestoßen, den feinen gelben Staub, der sich wie Mehltau über das Land gelegt hatte. Sie hatten sich zuvor viele Gedanken gemacht, wie sie ihr Ziel, die Festung im Land der Viramatai, finden könnten, aber es war im Grunde genommen ganz einfach: Sie mussten nur der Spur der Zerstörung folgen, die die Gefallene Göttin durch das Land zog. Sie kannten den Weg nicht? Xlifara Slahan führte sie. Ihr zu
folgen, erwies sich auch aus anderen Gründen als klug, denn die Göttin verbreitete Angst und Schrecken, und das Land lag dort, wo sie gewütet hatte, menschenleer. So ritten sie meist in gespenstischer Stille, denn auch die meisten Tiere waren verschwunden, und sie hörten oft den ganzen Tag lang nichts anderes außer dem Tritt ihrer eigenen Pferde. Nur manchmal störten sie Krähen oder Geier bei ihrem schaurigen Mahl, die dann mit misstönendem Krächzen davonflogen. Schon lange dachte keiner von ihnen mehr daran, die Leichen näher zu betrachten. Sie waren bis zur Unkenntlichkeit entstellt, und ein sicheres Wiedererkennen war gar nicht möglich. Vielleicht wollten sie auch gar nicht wissen, wer diese Toten waren, und redeten sich ein, dass niemand darunter war, den sie kannten. Awin jedoch dachte immer sofort an seine Schwester und trieb seinen Sger weiter voran.
Sie waren auf der Spur ihrer Feindin geblieben, und die ständige Begegnung mit Tod und Verwüstung ließ Schwermut im Sger entstehen. Selbst der junge
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