Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
ihr nicht um Rache an den Hakul, die Göttin dachte in größeren Maßstäben - sie wollte die Menschheit auslöschen. War das möglich? Ihn fröstelte plötzlich.
»Bedrückt es dich immer noch so?«, fragte Merege.
Er sah sie an, als sähe er sie zum ersten Mal: Die Kariwa, schwarz gekleidet, blass, zart und doch so mächtig. Eri hatte in
Uos Mund der Göttin verraten, wer Merege war, eine Wächterin an der Mauer, die die Welt vor den Alfskrolen beschützte. Er schluckte. Die Ahnung wurde zur kalten Gewissheit. »Ich weiß, was Slahan vorhat«, flüsterte er. »Sie will das Skroltor öffnen.«
Merege starrte ihn an. Dann schüttelte sie den Kopf: »Dann geht sie in die falsche Richtung, Awin, denn das Tor liegt im hohen Norden, nicht im Osten.«
Awin nagte an seiner Unterlippe. Merege hatte recht. »Vielleicht weiß sie nicht, wo es liegt«, sagte er lahm.
Über Mereges Gesicht zuckte ein kurzes Lächeln. »Sie ist eine Göttin, Awin. Und auch wenn sie viele Jahrhunderte in die Wüste gebannt war, ja, selbst wenn das geschehen ist, bevor die Schwarze Mauer gebaut wurde, wird sie es doch irgendwann erfahren haben. Nein, es muss einen anderen Grund geben, warum sie zu jener Festung will.«
Das war die entscheidende Frage: Was wollte sie in dieser Festung? Der Yaman des Löwen-Klans hatte nur gesagt, dass die Festung Pursu den Viramatai gehörte, mehr nicht. Awin befürchtete, dass er vielleicht die Männertöterinnen um Rat fragen musste. Über dieses Volk wusste er nicht viel - nur, dass sie von Frauen geführt wurden und alle Hakul hassten. Er fragte sich, ob sie irgendwann auch einmal auf einen Stamm oder ein Volk stoßen würden, das ihnen wohlgesinnt war. Er bezweifelte es. Nicht einmal die Hakul kamen mit den Hakul gut aus. Er straffte sich im Sattel. Er war sich jetzt sicher über die Absichten Slahans: »Doch, Merege, ich habe das Tor in meinen Träumen gesehen. Es wurde geöffnet. Wer sollte das wollen, wenn nicht Slahan?«
Merege legte die Stirn in Falten. »Vielleicht hat sie eingesehen, dass sie es auf geradem Weg nicht erreichen kann. Es gibt viele Flüsse, Seen und Sümpfe zwischen ihrer Wüste und meiner Heimat.«
»Vielleicht weiß sie einen anderen Weg, jenseits der Berge«, meinte Awin.
Merege packte Awin hart am Arm. »Gleich, welchen absonderlichen Weg sie auch nehmen will, die Göttin darf das Tor nicht erreichen!«, sagte sie sehr bestimmt.
Awin nickte. Wenn Xlifara Slahan das Skroltor öffnete, würden die verbannten Daimonen und Unholde über diese Erde ziehen und der Welt der Menschen ein schreckliches Ende bereiten. Die Hüter schliefen - sie konnten die Daimonen nicht aufhalten.
»Wirst du den anderen sagen, was sie vorhat?«, fragte Merege.
»Später«, sagte Awin, »später, wenn ich sicher bin. Und wenn ich verstehe, warum sie diesen Weg nimmt und keinen anderen.«
Er beobachtete Harmin, Mabak und Wela, die über den zerstörten Lagerplatz ritten, sorgsam darauf achteten, den Toten nicht zu nahe zu kommen, und schweigend Ausschau hielten nach Dingen, die sie gebrauchen konnten. Awin sah selbst einige Waffen, zerbrochene Speere mit bronzenen Spitzen, die verstreut auf dem Boden lagen. Sie ließen sie liegen, denn sie waren Krieger, keine Räuber, und wie alle Hakul verstanden sie den Unterschied, der zwischen dem Nehmen von Lebensnotwendigem und dem Plündern aus reiner Gier bestand.
»Es war schon jemand vor uns hier«, stellte Harmin fest.
»Wie kommst du darauf?«, fragte Awin, der mit seinen Gedanken immer noch bei Slahan war.
»Die Speere. Es liegen nur zerbrochene dort. Auch finde ich keine Helme oder Schilde und auch kein Eisen. Es waren Plünderer vor uns im Lager, es sei denn, Slahan begänne nun, ihre Krieger neu zu bewaffnen.«
Aber das glaubten sie beide nicht. Tuge fand Werkzeug,
Sehnen und gegerbtes Leder unter den Trümmern und steckte ein, was er brauchte, um ihr Sattelzeug in Ordnung zu bringen. Dann verließen sie das Lager schnellstmöglich. Awin hatte das Gefühl, dass sie dabei beobachtet wurden. Er fragte seine Gefährten danach, aber die hatten nichts dergleichen bemerkt.
Etwas später hatten sie Glück, denn Limdin und Dare, die wieder vorausgeritten waren, erspähten eine kleine Herde Rotgazellen an einem Wasserloch. Harmin griff nach seinem Bogen, doch Tuge legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich übernehme das, wenn du erlaubst, Schmied«, sagte er mit einem feinen Lächeln. Tuge hatte die ruhigste Hand und den besten Bogen im Sger.
Wenig
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