Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
unseres Landes, der sich nach Jahrhunderten wieder aus dem Sand erhoben hat, Xlifara Slahan, wie ihr wohl wisst. Ihr Zorn ist verheerend, und unsere Waffen sind stumpf und können sie nicht abwehren. Ihr werdet fragen, wie dies geschehen konnte, warum Slahan erwachte, und warum sie uns mit ihrer Rachsucht überzieht. Es sind Männer unter uns, die diese Frage beantworten können. Denn in ihrer Obhut lag der Heolin, jener kostbare Stein, den Etys, der Erste der Fürsten, einst vom Sonnenwagen Edhils nahm, und der uns beschützte.«
»Ich hörte, er liegt nicht mehr in Etys’ Hand!«, rief eine Stimme aus der Menge.
»Er soll hier sein, im Lager«, eine zweite.
Uredh hob die Hand, um die Menge zu beruhigen. »So ist es. Er ist hier, in unseren Händen, ein Zeichen der Hoffnung in der Finsternis.«
»Doch warum ist er nicht an seinem heiligen Platz?«, wollte ein Zwischenrufer wissen. »Da ist es doch kein Wunder, dass sich die Göttin erhebt.«
Awin reckte den Hals, um zu sehen, wer da gerufen hatte, doch konnte er den Rufer in der dicht gedrängten Menge nicht sehen. Er fühlte die Unruhe der Versammelten. Yaman Uredh war entweder sehr unbedacht oder sehr gerissen, wenn er hier der Volksstimmung freien Lauf ließ. Die Hakul waren verunsichert und wütend. Die alte Ordnung war erschüttert. Wie hatte das geschehen können? Der Zorn der Götter war geweckt. Wer war dafür verantwortlich? Sie suchten einen Schuldigen. Wenn Uredh nicht bald etwas unternahm, konnte es für den Klan der Berge gefährlich werden. War das etwa seine Absicht? Wollte er sie in die Enge treiben, um den Heolin an sich zu reißen?
»Vielleicht sollte jemand von diesen Ereignissen berichten, der dabei war, Yaman Uredh«, rief Curru hinauf. Er hatte die Gefahr offenbar ebenfalls gewittert.
Der Yaman starrte durch das Zwielicht auf die Versammlung hinab. »Noch habe ich dir nicht das Wort erteilt, Curru von den Schwarzen Bergen.«
»Ich will ihn hören«, rief eine Frauenstimme aus der Menge. Awin war sich beinahe sicher, dass es Gregil war.
»Dies ist die Versammlung der Männer, Weib, dir steht hier nicht das Wort zu!«, rief Uredh hinunter.
»Warum redest du dann wie eine Wollweberin, statt diesen Curru endlich berichten zu lassen?«, rief eine weitere Stimme aus der Versammlung. Ein paar Hakul lachten verhalten. Diese Bemerkung war, da war sich Awin sicher, von Tuge gekommen,
der sich an ganz anderer Stelle in der Menge aufhielt als die Yamani. Awin konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sein Klan war klein, aber er verstand es, sich Gehör zu verschaffen. Noch mehr Männer verlangten jetzt, Curru anzuhören, der sich inzwischen nach vorn gedrängt hatte. Uredh blickte finster auf ihn herab. »Dann soll er reden«, gab er schließlich nach, »ich bin neugierig, wie er das Versagen seiner Sippe erklären will.«
Curru kletterte auf den Felsen. Die Stimmung der Menge war gespalten, und Awin fragte sich, ob sein ehemaliger Meister fähig war, die Hakul für seinen Klan einzunehmen. Er war blass, der Tod seiner Frau hatte ihn hart getroffen. Den ganzen Tag über hatte er wenig gesprochen. Jetzt nahm sich der alte Seher Zeit. Lange ließ er seinen Blick schweigend über die Menge schweifen, dann begann er: »Ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen, wenn ich an diesem Abend nicht leicht die richtigen Worte finde, doch auch meinen Klan hat der Zorn Xlifaras schwer und vielleicht sogar zuallererst getroffen. Ich selbst habe am Grab meiner Gefährtin stehen müssen und zuvor an dem vieler guter Männer. Ich vermag nicht zu beschreiben, wie schwer mir das Herz ist, und glaubt mir, es fehlen mir die Worte für das Verhängnis, das euch, meine Brüder, getroffen hat.«
Die Versammlung schwieg, denn Curru schien mit den Tränen zu kämpfen. Dann erzählte Curru. Er berichtete von dem verfluchten Fremden, der in die Schwarzen Berge gekommen war, um den Heolin zu rauben, der, im tiefsten Frieden und auf dem heiligen Grund des Grastals, fünf ahnungslose Hirten im Schlaf ermordet hatte. Er schilderte ihre Jagd und wie sie den Fliehenden mehrfach beinahe gestellt hätten, wenn ihm nicht immer feindselige Mächte zu Hilfe gekommen wären. Einmal war es Nyet, der seine Spur verwischte, dann war es ein Vetter des Heredhans, der ihn mit frischen Pferden versorgte,
und schließlich noch die Fürsten von Serkesch, die Meineide schworen, dass der Mann, den die Hakul dort eingeholt hatten, nicht der Gesuchte war. Awin musste zugeben, dass Curru geschickt
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