Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Hält er es nicht für wert, den weisen Kluwe und die tapferen Yamane und Anführer unserer Klans selbst zu begrüßen?«
»Er ist dort, wo der Heredhan sein sollte, Hakul, im Kreis der Beratung«, entgegnete Isgi ungehalten.
»Ich sehe schon, du bist dort entbehrlich«, spottete Curru gallig.
»Curru von den Schwarzen Bergen, ich dachte nicht, dass ich dich je wiedersehen würde«, entgegnete Isgi mit falscher Freundlichkeit. »Es ist mutig, dass ihr euch hierherwagt. Wart ihr nicht die Männer, die Slahan geweckt haben?«
»Wach war sie schon vorher, Hakul«, entgegnete Curru eisig, »denn der Grabräuber, dem Horkets Vetter seine Pferde schenkte, hat ihren Schlummer beendet.«
»Geschichten!«, zischte Isgi. »Und kein Wort wahr! Oder soll dieser blasse Klumpen da etwa der Lichtstein sein?«
Awin erhob sich. Isgi verschwendete offenbar keine Zeit mit Höflichkeiten, sondern versuchte von vornherein, dem Klan der Berge alle Schuld für das Verhängnis zuzuschieben. Das
durften sie sich nicht gefallen lassen. Er hob den Lichtstein vor den dunklen Himmel. Das Leuchten war schwach, doch unübersehbar. »Er ist es, Isgi, oder kennst du einen anderen Stein oder ein anderes Ding, das aus sich selbst heraus leuchten könnte?«
Isgi fasste ihn ins Auge. »Ich kenne dein Gesicht, auch du warst am Glutrücken«, sagte er nachdenklich. »Noch ein Hakul, den die Akkesch nicht haben töten können. Mir scheint, ihre Kriegskunst wird weit überschätzt.«
»Hätten sie nicht Hilfe gehabt, wäre ihnen unser ganzer Sger leicht entkommen«, rief Awin wütend. Für Isgi lag dieses Gefecht schon ein halbes Jahr zurück, aber für Awin waren es erst wenige Wochen, und die Gesichter seiner gefallenen Brüder waren ihm sehr gegenwärtig.
Isgis Miene verfinsterte sich. »Alte Geschichten. Doch nun gib mir diesen Stein. Wir werden ihn untersuchen und sicher schnell herausfinden, dass er doch nur irgendein Zauber ist, den ihr von den Akkesch gestohlen habt.«
»Ich kann ihn dir nicht geben, Isgi«, erklärte Awin ruhig.
»Du weigerst dich?«, fragte der Seher scharf.
»Es ist zu deinem Besten«, polterte Harmin. »Der Letzte, der es versuchte, wäre fast durch die Kraft des Steines getötet worden.«
»Ich hörte davon«, entgegnete Isgi, »und ich glaube es nicht.«
Er trat, geschützt durch seine zwölf Krieger, nah an Awin heran und streckte mit herrischer Geste die Hand aus. Awin sah aus den Augenwinkeln, dass Tuge die Hand am Dolch hatte, ebenso Harmin. Aber sonst rührte niemand einen Finger für ihn. Er schüttelte den Kopf.
»Ich verstehe deine Furcht, blinder Seher«, sagte Isgi herablassend, »denn es ist klar, dass du niemand mehr bist, wenn du
diesen Stab hergibst. Aber glaube mir, ein Niemand zu sein ist besser, als tot zu sein.«
»Du willst den Versammlungsfrieden brechen, Isgi?«, fragte Awin und versuchte, sich seine Beunruhigung nicht anmerken zu lassen. Woher wusste der Mann, dass er seine Sehergabe verloren hatte?
»Noch habt ihr die Eide nicht geleistet, noch ist der Schutz des Fehdefriedens ein Schutz, den Heredhan Horket euch gewähren, aber auch entziehen kann. Gib mir den Stein!« Er streckte die Hand noch weiter aus, aber plötzlich zuckte er zurück. Eine Flamme tanzte über seine Finger. Isgi schrie laut auf. Sein Gesicht verzerrte sich in ungläubigem Schrecken, und seine Augen quollen aus den Höhlen. Er sprang zurück und taumelte mit zitternden Beinen gegen einen seiner Begleiter. Der Krieger ließ geistesgegenwärtig seine Fackel fallen und fing Isgis Sturz ab. Awin hatte unbewusst ebenfalls einen Schritt auf den Mann zu gemacht, um ihm zu helfen, eine Geste, die Isgi falsch verstand. »Bleib mir vom Leib, bleib mir vom Leib mit dem verfluchten Stein«, keuchte er und hielt die verbrannten Finger umklammert. Auch seine Krieger wichen vor Awin und seinem Stab zurück. »Denk an das Friedensgebot des Heredhans. Du versündigst dich, Hakul!«
»Ich dachte, dieses Gebot gilt für uns noch nicht«, rief Harmin höhnisch.
»Es gilt. Doch ich muss zurück. Ein anderer wird kommen und euch die Eide abnehmen. Ich muss zurück«, rief Isgi, drängte seine Krieger zur Seite und stürmte davon. Die Fackelträger folgten ihm. Awin schickte ein Dankgebet zu den Göttern. Seine Augen suchten die dunklen Hügel ab. Von irgendwo dort hatte Merege schützend die Hand über ihn gehalten.
»Nun wird niemand mehr an der Wahrheit unserer Worte zweifeln«, verkündete Curru zufrieden.
Wie seltsam , dachte
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