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Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger

Titel: Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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aufgetaucht. Sie sah ihn schweigend an. Auf den ersten Blick wirkte sie so gelassen wie stets, aber gleichzeitig verströmte sie eine Eiseskälte, die Awin erschreckte. Sie wusste also Bescheid. Er versuchte, es ihr zu erklären.
    »Also hast du den Heolin aufgegeben, um einmal in dieser
Versammlung zu sprechen?«, fragte sie so kühl, dass es ihm lieber gewesen wäre, sie hätte ihn angebrüllt.
    »Es ist nur für diesen Tag, Merege, dann nehme ich ihn wieder in meine Obhut. Das haben sie mir beide versprochen.«
    »Es wundert mich, dass du ihnen immer noch traust.«
    »Du solltest vielleicht wissen, dass ich deine Ahnmutter heute Nacht gesehen habe«, erklärte er, um das Gespräch schnellstmöglich in erfreulichere Bahnen zu lenken.
    Merege stutzte, aber ihr Blick blieb kalt und traf Awin wie Dolche aus Eis. Als sie keine Frage stellte, fuhr er fort: »Ich weiß jetzt, wo Slahan ist … oder vielleicht bald sein wird.« Mereges eisiges Schweigen verunsicherte ihn. Awin wurde mit einem Mal klar, dass er gar nicht genau wusste, ob seine Gesichte ihm die Gegenwart oder die Zukunft gezeigt hatten. »Eine Festung. Unweit der Sonnenberge. Senis sagt, sie wird dort bleiben«, stieß er hervor.
    »Warum?«
    »Ich weiß es nicht, und deine Ahnmutter wollte es nicht erklären.« Und er gab ihr kurz das Gespräch wieder, soweit er sich daran erinnern konnte. Mit Sorge bemerkte er, dass die Erinnerung daran schon zu verblassen begann, wie es eben meist bei Träumen der Fall war.
    »Hat sie von mir gesprochen?«, fragte Merege leise. Das Eis schien zu schmelzen.
    Awin dachte an das, was die alte Kariwa über die erste Kette Slahans gesagt hatte, und schüttelte den Kopf. »Ich habe sie nur sehr kurz gesehen, dann war ich auch schon vor dieser Festung, mitten im Sturm, und um mich herum all die Unglücklichen, die Slahan verschleppt hat. Merege, ich musste den Lichtstein aufgeben, um wieder sehen zu können.«
    Die Kariwa sah ihn nachdenklich an. Schließlich fragte sie:
»Wenn das tatsächlich so ist, frage ich mich, ob du ihn auch wirklich wiederhaben willst, Seher.«
    Awin schluckte. So hatte er das noch gar nicht betrachtet. Würde er wieder blind werden, wenn er den Heolin zurückbekam? Merege ließ ihn stehen. Erst später wurde ihm bewusst, dass er sie gar nicht gefragt hatte, ob sie bereit war, Eri zu helfen.
     
    Als er zum Lagerplatz seines Sgers zurückkehrte, erntete er viele fragende Blicke. Der Grund dafür war offensichtlich: Eri saß am Feuer, den Stab mit dem enthüllten Heolin in der Rechten, als wäre es schon immer so gewesen. Awin wich zunächst allen Fragen danach aus, aber als die Gelegenheit günstig schien, gab er Wela und Tuge einen Wink. Sie folgten ihm hinter einige dicht stehende Ulmen, bis sie sicher waren, dass der Nebel und die Bäume sie den Blicken der anderen entzogen.
    »Kannst du mir das erklären, Awin?«, fragte Wela und deutete in Richtung des Lagerfeuers, an dem Eri thronte. Der Lichtstein leuchtete goldfarben durch die Nebelschleier.
    »Ich kann es, doch dazu später mehr. Wichtiger ist, dass ich heute Nacht wieder Gesichte hatte.«
    »Tengwil hat dir einen Traum geschickt?«, fragte Tuge ehrfürchtig.
    »Mehr als das, Tuge. Es war irgendetwas zwischen einem Traum und jener Reise des Geistes, die ich vor Serkesch unternahm. Ich habe die alte Kariwa getroffen, und ich habe Slahan gesehen.«
    »Du hast die Göttin gesehen?«, rief Wela beeindruckt.
    »Nicht so laut«, mahnte Awin. »Eigentlich nicht sie selbst, aber einen ihrer Diener, Nyet, und auch die Verschleppten. Und ich weiß, wo wir sie finden werden. Es ist eine Festung der Viramatai. Die alte Kariwa sagt, sie wird dort bleiben, auch wenn ich nicht genau weiß, warum sie das tun sollte.«

    »Das ist gut, so haben wir ein Ziel«, stellte Wela leise fest. Aber dann setzte sie hinzu: »Wenn wir denn jemals von hier fortkommen, Awin. Eri hat den Stab, und das hat doch nichts Gutes zu bedeuten, oder?«
    »Wenn es so geht, wie ich will, wird Eri der Stab nichts nützen. Ich werde Horket auffordern, dem Heolin zu folgen. Und da ich verkünden kann, wohin Slahan will, wird es ihm schwerfallen, abzulehnen.«
    »Dem Lichtstein folgen? Du hast ihn doch aus der Hand gegeben, Awin. Eri trägt ihn stolz vor sich her. Willst du uns nicht sagen, was er plant?«, fragte Tuge.
    Awin zuckte mit den Achseln. »Muss ich das? Oder ist das nicht längst offensichtlich?«
    »Er hat den Lichtstein, das heißt, er besitzt ein Zeichen großer Macht. Seine

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