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Der Sohn des Sehers 03 - Renegat

Titel: Der Sohn des Sehers 03 - Renegat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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der Anwärter, ein blasser, rothaariger Knabe, erzählte Awin, dass diese Rampe, ebenso wie die gepflasterte Straße, vor langer Zeit von den Riesen angelegt worden war. Er trug, ebenso wie die anderen Anwärter, schon eine schwarze Tätowierung im Gesicht. Bei ihm waren es die Schwingen eines Vogels, denn das, so der Knabe, sei das Sternbild seiner Berufung. Awin zählte vierzehn Anwärter, wenn er Merege mitrechnete, außerdem gingen noch einige alte Männer mit, die mit Pfeil und Bogen bewaffnet waren.
    »Sie sagen, ich sei zu alt für die Schlacht, also schieben sie mich ab auf die Mauer«, sagte einer der Alten zu Awin. »Nun, vielleicht ist es mir vergönnt, von dort wenigstens einen Blick auf die ferne Schlacht und unseren Sieg zu erhaschen.«
    Awin sagte nichts dazu, aber er war sicher, dass der Alte
weit mehr als eine ferne Schlacht zu sehen bekommen würde. Merege führte den Zug. Awin sah auch Ore Praane weit vorne, während Wela sich nicht beim Ore, sondern am Ende des Zuges aufhielt. Sie sah nicht besonders glücklich aus, während Mabak und Limdin, die vor ihr marschierten, vor Stolz und Glück schier zu platzen schienen. Awin gesellte sich unauffällig zur Schmiedin. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Mahuk lief etwas abseits des Zuges. Immer wieder horchte er am Boden, pflückte und zerrieb Gräser zwischen den Händen, aß kleine Stückchen und schien sich ernst mit Yeku zu unterhalten.
    »Es scheint dem Raschtar hier zu gefallen«, begann Awin.
    »Möglich«, antwortete Wela.
    »Andere sehen nicht aus, als ob sie hier besonders glücklich wären«, versuchte Awin es weiter.
    Wela seufzte und schwieg.
    »Du bist nicht an der Seite des Ore?«, fragte Awin schließlich.
    Sie warf ihm einen finsteren Blick zu.
    »Praane war in den letzten Tagen sehr still, was mir nicht nur an unserem harten Ritt zu liegen schien«, ließ Awin nicht locker.
    Wela seufzte noch einmal, dann sagte sie: »Wir hatten in Ules Boot Gelegenheit, uns zu unterhalten. Er hat Heimweh, Awin, und er … er ist - wie soll ich es sagen? - Praane ist viel weniger er selbst in der Fremde, als er es im Bernsteinland war. Er gestand mir auch, dass er sich nicht vorstellen kann, außerhalb des Femewaldes glücklich zu werden. Und ich habe ihm gesagt, dass ich die Steppe nicht verlassen will.«
    »Das tut mir leid«, sagte Awin und hatte gleich das Gefühl, wieder das Falsche gesagt zu haben.
    Wela warf ihm auch sofort einen bösen Blick zu. »Ich weiß
nicht, warum ich ausgerechnet dir das erzähle, Awin Sehersohn. Denn mir scheint, du bist blind für solche Dinge.« Und dann lief sie ein paar schnelle Schritte und schloss zu Mabak und Limdin auf.
    Tuge, der hinter ihnen gegangen war, klopfte Awin auf die Schulter. »Das geht vorüber.«
    »Du hast zugehört?«
    »Ich konnte es nicht vermeiden, Awin«, erwiderte der Bogner. »Nun, damit hat sich eine meiner Sorgen wohl zerstreut. Wela wird uns erhalten bleiben.«
    »Wenn es uns morgen noch gibt, Tuge, wenn es uns morgen noch gibt.«
    Die Berge rückten näher. Bald ragten sie steil vor ihnen in den trüben Himmel, und Awin erkannte schon die Mauer, einen glänzend schwarzen Riegel im dunkelgrauen Fels. Der Berg über dem Skroltor sah merkwürdig aus, es schien Awin, als hätte er eine Narbe, die in Zacken über seinen Hang lief. Es war Nachmittag, als sie endlich am Tor angelangten, und es übertraf alles, was Awin bislang gesehen hatte. Da war zunächst die Mauer, die aus der Wand des Berges selbst herausgemeißelt schien. Sie war schwarz, doch so glatt, dass sich der Himmel und die Ebene darin spiegelten. Awin konnte sogar schemenhaft ihre kleine Schar darin sehen. Sie war hoch, höher als die Felsen von Pursu, und vier- oder fünfmal höher als die Mauern von Serkesch, über die er seinerzeit so gestaunt hatte. Und in der Mitte glänzte Edhils Siegel. Es war heller als hundert Feuer, viel heller als die Sonne, die hoch über ihnen als blasse Scheibe durch den aschfarbenen Himmel wanderte.
    Als Awin näher an die Mauer herantrat, suchte er vergeblich nach Fugen oder einzelnen Steinen. Es war eine einzige unermesslich hohe, spiegelnd glatte Wand.

    »Die Riesen haben sie gemacht«, erklärte Merege lächelnd, »aber sie haben uns nicht verraten, wie.«
    Das Tor selbst war ganz aus schwarzem Erz, und Awin bewunderte die riesigen Angeln, die das ungeheure Gewicht der beiden Torflügel trugen. Kein Riegel hielt es verschlossen, nur das Siegel Edhils. Aus der Nähe war es so

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