Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
»Sie hören dich, also sprich«, raunte er Awin zu und begann leise, Beschwörungsformeln zu murmeln.
Awin zögerte, aber dann sagte er versuchsweise: »Hakul.« Und: »Hakul«, flüsterte das Gras.
Awin zog erschrocken die Hand zurück.
»Weiter, weiter«, drängte Mahuk und legte seine Hand wieder auf den Stock. Awin schluckte, aber dann sammelte er sich und sagte: »Ihr seid weit von den Weiden unserer Heimat entfernt, Brüder«, und das Gras wiederholte seine Worte. Sie stiegen aus dem Boden auf, waren im Stein, liefen die Rampe hinab und sprachen zu den Hakul. Unten im Nebel wieherten die Pferde, und Männer stießen erschrockene Rufe aus. Sie hörten ihn!
»Was wollt ihr hier, Hakul?«, fragte Awin. »Glaubt ihr immer noch die Lügen der vier angeblichen Zauberer, die euch Ruhm und Reichtum versprachen?«
Hört nicht auf ihn , flüsterte es im Wind. Awin erstarrte. Es war die Stimme Sewetis.
»Es sind keine Zauberer, Windskrole sind es, Diener der verfluchten Slahan, die euch verderben wollen«, fuhr er fort. »Wie viele eurer Brüder sind schon gefallen in diesem sinnlosen Feldzug? Eroberung der Welt? Wozu? Was wollen
Hakul in fremden Städten, Brüder? Ich war in Karno und habe die Krieger dort gesehen. Sie waren krank vor Sehnsucht nach der Steppe und waren eher Gefangene dieser Stadt als ihre Herren. Untergegangen ist Karno, und viele Hakul mit ihr. Wollt ihr noch mehr Städte erobern? Noch mehr Krieger ins Unglück stürzen?«
Ein Lügner ist er , raunte der Wind. Eine Böe zog über die Findlinge, hinter denen sie sich versteckten. Der Nebel verhüllte, was dort unten geschah, aber Awin hörte die Hakul rufen, streiten. Und sie versuchten, ihre unruhigen Pferde zu bändigen. Er spürte, er konnte etwas erreichen. Er fuhr fort: »Seht euch dieses Tor an, ihr Krieger, glaubt ihr, dass irgendetwas Gutes dahinter verborgen liegen könnte? Daimonen lauern dort, Ungeheuer und Alfskrole, die nur darauf warten, die Erde zurückzuerobern, die sie an die Menschen verloren haben. Und ihr wollt ihnen das Tor öffnen?« Das Gras wiederholte wispernd jedes seiner Worte.
Tötet sie! , schrie der Wind. Doch nichts geschah. Das ganze große Heer schien auf einmal erschüttert und verwirrt. Awin hörte eine einzelne helle Stimme Befehle brüllen. Eri! Doch niemand gehorchte. Plötzlich stöhnte Mahuk auf und sackte in die Knie. Er war blass und zitterte am ganzen Leib. »Gut gesprochen«, flüsterte er, ließ den Stab los und fiel zu Boden. Awin starrte ihn erschrocken an.
»Awin, sieh nur - sie folgen den Befehlen nicht!«, rief Wela aufgeregt. Awin löste seinen Blick vom Raschtar und blickte über die Steine. Der Nebel verharrte über der Rampe wie ein Raubtier, bereit zum Sprung. Dort warteten sie, Aberhunderte, Tausende Hakul, verborgen hinter Nebel und schwerem Ascheregen. Awin hörte ihren Streit, das Wiehern ihrer unruhigen Tiere. Sollte er wirklich die richtigen Worte gefunden haben? Von Ferne grollte der Kramar, der Boden bebte und
angstvolle Rufe stiegen aus dem Heer auf. »Seht ihr nicht die bösen Zeichen, Brüder?«, rief Awin - aber das Gras trug seine Worte nicht mehr weiter, und sie verhallten über der Rampe. Dennoch, Awin fühlte die Zweifel, die die Hakul befallen hatten. Eben noch waren es zu allem entschlossene Krieger gewesen, bereit zur entscheidenden Schlacht, aber jetzt waren sie erschüttert. Er hatte ihnen die Augen geöffnet. Er wusste nicht, ob sie durch den dichten Nebel überhaupt etwas von dem Tor sehen konnten, außer vielleicht dem Siegel, aber sie waren nicht mehr ohne weiteres bereit, für Eri dieses Siegel anzugreifen, ja, sie spürten, dass sie belogen worden waren, und waren kurz davor, umzukehren, Awin fühlte es.
»Uo Jega! Kaiwin Milnar!«, schrie die schrille Stimme Ragins, und »Kaiwin Wercuna« schleuderte sie hinterher. Ein gleißend heller Blitz zerriss mit einem Donnerschlag den Nebel und fuhr in die dichten Reihen der Hakul. Körper wurden durch die Luft gewirbelt, Männer brüllten, und Pferde schrien vor Schmerz. Für einen Augenblick war Awin geblendet, dann sah er das schreckliche Durcheinander, den vielfachen Tod, den der Blitz hinuntergetragen hatte. Hornsignale ertönten. Ein zweiter Ruf schickte einen weiteren Blitz zwischen die Reiter. Verwirrung erfasste die Hakul, einige der Vordersten wandten sich zur Flucht. Wütende Hornsignale riefen die Reiter zur Ordnung, doch die ersten Reihen waren in Auflösung begriffen. Dauwes Nebel war schwach geworden,
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