Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
riesigen Stollen und sah, dass die dunklen Wolken, die sein Ende verbargen, in Bewegung gerieten. Der Boden bebte erneut, noch stärker. Awin strauchelte. Hinter ihm schrie jemand, und er wandte sich um. Es war der Hakul, der ihn hatte angreifen wollen, und den er völlig vergessen hatte. Awin sah ihn jetzt starr vor Schreck auf seinem Ross sitzen. Er glotzte an Awin vorbei, sein Gesicht vor Entsetzen verzerrt, dann riss er sein Pferd herum und jagte davon. Awin drehte sich wieder um. Es geschah etwas im schwarzen Nebel. Ein böses Leuchten flackerte darin. Awin sah lange Fangarme, die sich hervortasteten, und im rötlichen Licht zeigten sich riesige verzerrte Fratzen und gewaltige Hörner
und Klauen, die sich langsam den großen Stollen hinunterschoben.
Alles war verloren. Awin blickte sich um. Am Tor sah er Merege, sie zog einen Verwundeten von den sich öffnenden Torflügeln weg. Sie sah die Gestalt nicht, die dort plötzlich hinter ihr herantänzelte - Seweti! Awin schrie, aber das Donnern der Torflügel übertönte seinen Schrei. Er sprang vom Felsen. Er brauchte einen Bogen! Da lag Tuge, bewusstlos oder tot, Mabak kauerte neben ihm, der rechte Arm hing kraftlos herab, und er hustete Blut. Da war kein Bogen! Awin stolperte, hob einen Speer auf, brüllte Merege eine Warnung zu. Jetzt hörte sie ihn, drehte sich um - und Seweti rammte ihr den Dolch in den Leib. Awin schrie entsetzt auf. Merege sank zu Boden, und ihr schwarzes Haar fiel weich in die helle Asche. Awin sah Seweti, die mit einem Siegesschrei den blutigen Dolch über den Kopf hob, ihn auslachte, auf ihn zeigte und rief: »Tötet ihn!«
Wen meinte sie? Halb betäubt vor Entsetzten drehte Awin sich um. Reiter, mehr als ein Dutzend, die Gesichter und den halbnackten Leib rot bemalt, hielten dort noch aus, aber sie gehorchten Seweti nicht, starrten ungläubig auf die geöffnete Pforte und hatten Mühe, ihre Pferde im Zaum zu halten. Der Himmel verfinsterte sich. Hinter den Roten Reitern sah Awin plötzlich die anderen Xaima, die auf schnellen Pferden zum Tor hetzten. Unirdische Laute drangen aus der Schlucht, und als Awin über die Schulter blickte, sah er Dinge, die jeder Beschreibung Hohn sprachen. Die schwarze Wolke wälzte sich den Stollen herab, mit tausend verzerrten Gesichtern, Klauen, und Fangarmen, die hervorkrochen, zurückzuckten und sich langsam voranwälzten, und kein Tor und kein Siegel versperrte ihnen noch den Weg in die Welt, die sie nun erobern würden.
»Awin, hilf mir«, rief schwach Welas Stimme. Er löste sich von diesem entsetzlichen Anblick, sah die Schmiedin auf dem Boden liegen, halb begraben unter der Leiche des Hünen. Er stolperte zu ihr, half ihr auf. Praane und Limdin konnte er nicht entdecken. Mahuk lag immer noch bei den Steinen, den Stab an der Brust, bedeckt von Asche. War das ihr Ende?
»Narren«, zischte der Wind plötzlich. »Nichts geschieht, und Slahan - sie ist nicht hier!«
Awin erkannte die Stimme. Es war Isparra!
»Wo ist nun die verlorene Kraft, Seweti? Wo die verbrauchte Stärke, Nyet?«, höhnte sie.
Awin erhob sich. Die Xaima hatten ihre Rösser angehalten. Reiterlose Pferde flohen an ihnen vorbei durch das dichte Treiben der Ascheflocken. Und auch für die Hakul gab es kein Halten mehr. Das ganze große Heer stürmte in ungeordneter Flucht davon. Nur eine kleine Schar hielt auf der Rampe noch stand. Awin sah viele Sgerlanzen dort emporragen, und unter ihnen leuchtete der Heolin, ein zitterndes Licht in der hereinbrechenden Finsternis.
Und noch einige Hakul waren nicht geflohen. Es waren die Überlebenden der roten Leibwache Eris, ein gutes Dutzend, die immer noch vor dem Tor aushielten und ungläubig das Grauen anstarrten, das daraus hervorgekrochen kam. Eben noch hatten sie unschlüssig gezögert, doch nun schienen sie mit einem Mal begierig zu sein, auch jetzt noch für ihren Tiudhan zu kämpfen - und zu sterben. Sie brüllten unverständliche Laute, griffen zu ihren Waffen und machten sich bereit für einen neuen Angriff. Ein Bogen sirrte. Der Pfeil flog dicht an Awin vorüber. Er blieb stehen, denn sein Verstand sagte ihm, dass es nun ohnehin zu spät sei, dass sein Ende nur noch eine Frage von Augenblicken sein konnte. Kälte breitete sich in ihm aus. Kälte und Entschlossenheit. Er würde sterben, dessen war
er sich sicher, aber er würde sich nicht ohne Kampf zu seinen Ahnen begeben. Er zog sein Schwert.
Ein heiseres, Unheil kündendes Knurren erklang hinter ihm. Er wandte den Kopf. Da stand
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