Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
Mabak wird zwar nicht glücklich sein, dass er sich schon wieder von seinem jungen Weib trennen muss, hat er sie doch erst vor wenigen Wochen hierhergeholt, aber er wäre wohl noch unglücklicher, wenn er zurückbleiben müsste.« Plötzlich seufzte Tuge und fuhr mit gesenktem Blick fort: »Sie brauchen also keinen Schutz, aber … aber ich habe mich gefragt, ob ich dich bitten soll, meinen Sohn Karak zurückzulassen. Er ist tapfer, doch hat er den Schrecken seiner Gefangenschaft noch nicht überwunden.
Ich habe Zweifel, dass er der Gefahr gewachsen ist. Aber das kann ich ihm doch nicht sagen, oder?«
»Ich werde mit ihm sprechen, Tuge«, versprach Awin, den ganz ähnliche Gedanken bewegten. Mehrfach hatte er nachts gehört, wie der junge Krieger stöhnend und schreiend aus Träumen aufschreckte, aber ebenso wie Awins Schwester, der Gleiches widerfuhr, konnte er nicht sagen, was ihm im Schlaf so Furchtbares begegnet war. Awin konnte ihn nicht auf einen Kriegszug mitnehmen, auch wenn er sonst für jeden zusätzlichen Speer dankbar gewesen wäre. Also sprach er Karak behutsam auf die Möglichkeit an, die Frauen vor den Gefahren der fremden Stadt zu schützen. Es war ein eigenartiges Gespräch. Awin erinnerte sich gut daran, dass noch vor einem Jahr der etwas ältere Karak ihn, den schlechtesten Bogenschützen des Klans, immer etwas herablassend belächelt hatte, und nun war der Sohn des Bogners verunsichert bis ins Mark und konnte Awin, seinem Yaman, kaum in die Augen schauen. Zurückbleiben wollte er dennoch nicht. Awin redete ihm gut zu: »Es ist möglich, dass wir scheitern, und dann werden Unholde und Daimonen über die Welt ziehen und Krieg gegen die Menschen führen. Dann muss ich wissen, dass ein tapferer Krieger meine Schwester und auch Niwa beschützt.« Das verstand Karak, aber er sah nicht ein, warum er dieser Krieger sein sollte. Schließlich sprach Awin ein Machtwort als Yaman. Dem fügte sich der Bognersohn, aber er wirkte dabei sehr unglücklich.
Später sprach Awin mit Merege. Er war eigentlich davon ausgegangen, dass sie sich ihnen bereitwillig anschließen wollte, doch er merkte schnell, dass er sich getäuscht hatte.
»Ich bin keine Seherin, Awin, doch habe ich deinen Weg deutlich vor Augen. Er wird dich von Kampf zu Kampf führen,
du wirst Feind um Feind begegnen und Blut vergießen und Blut verlieren. Es ist kein Pfad, der mir gefällt. Vielleicht bin ich schneller, wenn ich den sicheren Weg über die Eisenstraße und den Dhanis hinauf nehme. Es mag weiter sein, doch lauern dort weniger Gefahren und Hindernisse. Und schnell sein muss ich, wenn ich mein Volk vor deinem warnen will.«
Dein Volk , wiederholte Awin betroffen in Gedanken. Es war ihm noch gar nicht bewusst gewesen, was genau gerade geschah: Die Hakul, sein Volk , machten sich daran, über die Kariwa, Mereges Volk, herzufallen. Nicht nur das, sie waren auf dem besten Wege, das Ende der Welt herbeizuführen. Aber sah Merege denn nicht, dass er bereit war, sich gegen seine eigenen Brüder zu stellen, um sie aufzuhalten? Dass der Weg gefährlich war, wusste er selbst, aber er wusste auch, dass Merege nicht davor Angst hatte. Bedächtig antwortete er: »Ich verstehe, dass unser Vorhaben dich schreckt, Merege. Ich verstehe auch, dass du deine Zauberkraft nicht einsetzen willst, und ich werde deinen Wunsch achten. Aber wir werden den Weg zu den Kariwa ohne dich nicht finden. Ich bitte dich also, uns zu leiten, weil wir nur dann Aussicht auf Erfolg haben.«
Merege sah ihm lange mit kühlem Blick in die Augen. Endlich sagte sie: »Gut, ich werde euch begleiten. Vielleicht führt euer Weg euch wirklich bis ins Schneeland, meine Heimat, doch will ich es nicht hoffen, denn das hieße, dass ihr das Heer der Hakul nicht rechtzeitig aufhalten konntet.«
Awin dankte ihr, aber sie schien mit ihren Gedanken schon wieder unendlich weit weg zu sein. Vielleicht sehnt sie sich nur nach ihrer Heimat , dachte Awin, aber er machte sich Sorgen. Seit er sie dem Reich des Todes entrissen hatte, wirkte sie noch in sich gekehrter und abwesender als zuvor, als sei ein Teil von ihr immer noch dort.
Im Grunde genommen hätten sie nun am nächsten Morgen aufbrechen können, doch die Fürstrichterin bat sie um einen Tag und eine Nacht Geduld, was Awin mit Stirnrunzeln zur Kenntnis nahm, denn Geduld war eigentlich nicht die Sache der Prawani. Sie erwarte wichtige Nachrichten von ihren Spähern, so ihre Begründung, und zum Ausgleich für den Zeitverlust
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