Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
warf Tuge ein. »Schon seit langem streiten unsere nördlichen Stämme mit ihnen um Land und Weiden, aber ihre Dörfer sind gut befestigt und ihre Speere lang genug, jeden Reiter vom Pferd zu stoßen.«
»Sie mögen genügen, um ein paar räuberische Hakul von einem Zaun fernzuhalten. Aber sind sie auch lang und spitz genug, um einem Windskrol oder einem nach Tausenden zählenden Herrn Einhalt zu gebieten?«, fragte die Prawani giftig. Und daraufhin verstummte Tuge.
Ungeduldig fuhr die Fürstrichterin fort: »Nein, niemand kann einen Wind aufhalten. Das wird ein schlimmes Ende nehmen, vielleicht ist es sogar das Ende der Welt. Jetzt verstehe ich noch weniger, warum wir Isparra auch noch ein Pferd gegeben haben!«
Awin rechtfertigte sich: »Als Isparra mit Slahan brach, ließen
ihre Geschwister sie im Stich. Es ist nicht mehr viel Liebe zwischen ihnen. Ich hoffe, dass uns das noch zum Vorteil gereicht. Die Unsterbliche kann eine Verbündete werden.«
»Das ist eine sehr schwache Hoffnung, Hakul«, beschied ihn die Prawani.
»Mir erscheint der Gedanke klug«, warf die Brami ein. »Der klügste, den ich bislang hörte. Denn ich höre hier sonst nur Verzagtheit und Mutlosigkeit.«
»Die Brami hat Recht«, meinte Awin. »Die Nachrichten sind schlimm, doch es ist weit bis ins Land der Kariwa, und viel mag unterwegs geschehen. Du sagst, dass niemand einen Wind aufhalten kann. Das ist wahr, und dennoch haben die Windskrole die Hakul in die Schlacht gerufen. Sie sind vielleicht nicht mehr so stark, wie sie es einst waren.«
»Das Siegel. Kein Unsterblicher außer Edhil kann sich ihm nähern oder es gar berühren«, erklärte Merege ruhig, »und solange es nicht gebrochen wird, bleibt das Tor geschlossen.« Und dann erzählte sie den Viramatai von dem Siegel in Form einer zwölfstrahligen Sonne, und dass es geschwächt worden war, weil ein Mensch einen dieser Strahlen gestohlen hatte. Sie erwähnte nicht, dass es der große Etys, der erste Fürst der Hakul, gewesen war, der das getan hatte. Seine Hand hatte er sich dabei verbrannt, aber er hatte den Hakul den Heolin und damit erstmals - und nur für wenige Jahre - die Einheit gebracht. Awin dachte daran, dass die meisten Hakul immer noch glaubten, dass der kühne Etys den Lichtstein von Edhils Sonnenwagen geraubt hatte.
Die Priesterin war aufgestanden. »Wenn die Xaima nur einen Menschen brauchen, um dieses Siegel zu brechen, warum gehen sie nicht hin und zwingen irgendeinen armen Bauern mit ihrer Macht? Nein, es muss andere Gründe dafür geben, dass sie ein ganzes Heer aufbieten.«
Awin kam ein Gedanke. Isparra hatte ihm sicher einiges verheimlicht, aber sie war nicht wie ihr Bruder Dauwe der Täuscher. Sie war keine geübte Lügnerin. »Isparra hat zugegeben, dass sie Macht verloren hat. Für ihre Geschwister wird das Gleiche gelten«, erklärte Awin nachdenklich. »Vielleicht sind sie viel schwächer, als wir wissen, und Isparra hat nicht aus Höflichkeit um Einlass ersucht, sondern weil sie es gar nicht mit Gewalt geschafft hätte!«
»Aber sie hat Wind aus dem Nichts herbeigerufen, ich habe den Staub wirbeln sehen, draußen auf dem Platz«, widersprach Wela.
»Und ihre Stimme. Jeder in der Festung hört, was sie spricht, als sie vor dem Tor steht«, warf Mahuk Raschtar ein. Der Ussar hatte bis dahin fast gar nichts gesagt. Er saß zusammengekauert in einer Ecke der Kammer und hielt seinen Stab fest umklammert.
»Ich sage nicht, dass sie schwach und hilflos sind«, erklärte Awin geduldig, »aber ich sage, dass sie nicht mehr so mächtig sind wie einst. Sie brauchen die Hakul, und zwar ein ganzes Heer, weil sie sonst niemals die Kariwa überwinden könnten. Und diese Hakul sind Menschen, meine Stammesbrüder. Sie mögen in die Irre geführt worden sein, aber ich bin ein Yaman und Seher der Hakul, und viele kennen meinen Namen. Ich kann ihnen die Augen öffnen, ich kann sie zur Umkehr bewegen, und ich werde es tun!«
Tuge räusperte sich. »Es mag sein, dass sie deinen Namen kennen, Yaman Awin, aber sie kennen auch deinen Beinamen - Awin der Abtrünnige. Dreimal hast du Eri die Gefolgschaft verweigert, und das wird er dir nie verzeihen. Er wird dich töten, lange bevor du zu seinen Kriegern sprechen kannst. Und selbst wenn - es ist ein gewaltiges Vorhaben, einen Hereban der Hakul nur mit Worten aufzuhalten.«
Awin starrte durch einen der schmalen Fensterschlitze der Kammer. Draußen malte die untergehende Sonne dramatische Farben auf dunkle Wolken. Er
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