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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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unterdrücken versuchte. Welchen Plan brauchst du, um einen kleinen Jungen zu suchen, der durch eine Stadt voller Wahnsinniger irrt?
    Ich biss die Zähne zusammen und hievte Rebecca mit Daniels Hilfe auf die Beine. Er machte eine Kopfbewegung zur offenen Tür des Hauses Fiszel und sah mich fragend an.
    »Nein«, sagte ich. »Wir können sie nicht allein lassen.«
    »Wenn jemand genug Mut gefunden hätte, sie aufzunehmen, hätte er sie uns bestimmt schon längst aus den Händen genommen.«
    »Die Angst und der Selbsterhaltungstrieb sind hier nicht schwächer als anderswo. Aber ich weiß, wohin wir sie bringen können.«
    »Wen kennst du außer dem Bankier gut genug, dass er dir aufmacht?«
    Ich antwortete ihm nicht. Rebecca stolperte heulend und weinend zwischen uns dahin. Daniel und ich waren groß; Rebecca mit ihrer geringen Körpergröße ließ sich führen wie ein Kind. Was hätte ich gegeben, wenn Paolo an ihrer Stelle gewesenwäre. Ich versuchte mich zu erinnern, wohin ich Joseph ben Lemel hatte gehen sehen, als wir im Streit vor Mojzesz’ Haus geschieden waren; sein Haus lag nahe an der Mauer, am anderen Ende der Judengasse.
    »Komm«, sagte ich zu Daniel. »Wir haben keine Zeit.«
    Ben Lemels Haus war so verschlossen wie alle anderen. Ich drosch gegen die Tür, absolut sicher, dass der Hausherr und seine Familie drinnen saßen und angstvoll horchten. Müßig fragte ich mich, ob Samuel schon aus der Stadt gebracht worden war, aber mein Interesse daran war deutlich geringer als das an Paolos Verbleib. Niemand öffnete uns.
    »Joseph ben Lemel!«, schrie ich. »Hier ist Peter Bernward. Machen Sie auf!«
    Ich dachte, etwas hätte sich im Haus bewegt, aber ein Blick zu Daniel verriet mir, dass es Wunschdenken war.
    »Joseph!«, brüllte ich. »Rebecca Fiszel ist bei mir. Sie braucht Hilfe!«
    Ich trat einen Schritt zurück in die Gasse und spähte an der Hausfassade in die Höhe. Sie lag halb im Schatten der Mauer. Das dicke Fensterglas spiegelte den Himmel wider, wo die Fenster beschattet waren, strahlend blaue Löcher in der grauen Hauswand. Wo weiter oben die Sonne die Fassade erstrahlen ließ, waren die Fenster schwarz und undurchsichtig. Ich hätte schwören mögen, dass Joseph ben Lemel sich an einem davon die Nase platt drückte und versuchte, seiner Feigheit Herr zu werden.
    »Ben Lemel, Sie Hasenfuß!«, schrie ich, so laut ich konnte. »Schämen Sie sich, Sie …!«
    »Sieh dir den an«, sagte Daniel und deutete zur Gassenecke.
    Ein Mann spähte um die Ecke. Sein Gesicht war kalkweiß. Die Jarmulke auf seinem dünnen Haar sah zu groß aus, als habe die Angst ihn schrumpfen lassen. Ich erwartete, dass er jeden Moment die Flucht ergriff, aber er legte nur den Finger an die Lippen und starrte uns mit großen Augen an.
    »Ich brülle hier, wie es mir …«, begann ich.
    »Bringen Sie sie zu mir«, unterbrach er mich. »Wir kümmern uns um Frau Fiszel. Sie verschwenden Ihre Zeit hier.« Er winkte uns mit nervösen Gesten, zu ihm zu kommen.
    Ich deutete auf Joseph ben Lemels Haus.
    »Sie sind weg«, sagte der Mann.
    »Seit wann?«
    »Rachel und die Kinder sind zur Terz abgereist. Jossele ist ihnen um die Sext herum nachgefolgt. Nun kommen Sie schon.« Er sah sich ängstlich um.
    Wir schleppten Rebecca zu ihm hinüber. Er wandte sich ab und huschte die Gasse hinauf wie jemand, der nicht hier zu Hause war.
    »Haben Sie einen kleinen Jungen gesehen? So groß … dunkle Haare …«
    »Wir haben nichts gesehen als die Wachen, die plötzlich anmarschiert kamen. Da sind wir alle in unsere Häuser geflohen. Ich hörte, wie sie an Herrn Fiszels Tür schlugen …« Er schüttelte sich.
    »Sie hätten ja versuchen können, ihm beizustehen«, sagte Daniel.
    Der Mann drehte sich nicht um. »Nicht, wenn Sie die Erfahrung gemacht haben, dass keiner aus Ihrem Volk zurückkehrt, den die Wachen geholt haben. Dann nicht.« Er hielt vor einem Haus unweit dem Mojzesz’ an. »Aber das ist nichts, was Sie verstehen würden.«
    Die Tür war verriegelt. Er schlug dagegen. »Macht auf, ich bin’s!«
    Die Tür schwang auf. Wir konnten nicht sehen, wer dahinter stand. Der Mann drehte sich um und nahm Rebecca bei der Hand. Sie folgte ihm willenlos. Ich holte Atem, um mich von ihr zu verabschieden, aber kaum war sie im Haus verschwunden, schlug die Tür wieder zu. Wir standen draußen. Das Gebäude war so still wie all die anderen rings herum, und dass seineTür soeben offen gewesen war, schien im Nachhinein unwahrscheinlich.
    » Mazel

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