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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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nie einer von denen gewesen, die erst der Gestank verschmorten Fleisches vom Platz vertrieben hat; ich habe immer nach einer Ausrede gesucht, gar nicht erst Zeuge der Hinrichtung zu werden, selbst in den Zeiten, in denen ich noch als Ermittlungsbeamter des Bischofs von Augsburg meinen eigenenBeitrag dazu lieferte, dass der Henker Gewalt über einen Menschen bekam. Ich hielt Janas Schultern umklammert und wollte sie mit mir zerren und so weit wie möglich vom Tuchmarkt weglaufen, bevor das Schreien begann, aber ich konnte mich selbst nicht bewegen. Das ist der andere Aspekt bei einem Schauspiel wie diesem: Wenn man nicht die nötige Hartherzigkeit besitzt, um aus Neugier zu bleiben, dann bannt einen das Grausen auf den Platz.
    Die Männer waren mit ihrem Opfer so nahe an die Flammen herangekommen, wie sie konnten, ohne dass es ihnen die Haare versengte. Ich hatte erwartet, dass dieses sich winden und zu zappeln anfangen würde, wenn es erst die Hitze verspürte, aber es war offenbar steif vor Terror. Eine weitere Gestalt sprang hinzu, vor dem Feuer eine schwarze Shilouette wie die anderen, flatternde, zerfetzte Flügel breiteten sich um ihn herum aus und schlugen im Aufwind des Feuers, im Wabern der Luft schien sie einen grotesken Tanz aufzuführen; sie breitete die Arme aus, und ihre Flügel peitschten die Hitze.
    »Das ist der Teufel«, hörte ich Jana sagen.
    »Nein, das ist nur sein aktuelles Opfer«, erwiderte ich.
    Langnase streckte einen Arm aus und packte den Gefangenen am Hals. Ich vernahm seine Stimme über dem Prasseln des Feuers und dem Rollen der Mühlsteine in den Wolken, aber es dauerte ein paar Augenblicke, bis ich sie auch verstand.
    »Mein ist die Rache, spricht der Herr!«, schrie Langnase. »Laurenz Weigel, siehst du zu? Joachim Betmann, siehst du zu? Der Jude muss brennen !«
    Langnase trat beiseite (seine zuckende, tanzende, flatternde Gestalt schwebte zurück) und hob die Arme über den Kopf. Er schien zu verschwimmen und zu einer Säule aus Rauch zu werden, die jeden Moment verwehen würde, doch er hatte sich nur um sich selbst gedreht. Seine Anhänger drängten sich wohl im Schatten zusammen, und dass seine anderen Zuschauer sich in ihren Häusern verbargen, konnte er von seinem Standort dortvor dem Feuer nicht sehen. Dann erkannte ich da und dort etwas in den Schatten der Hauseingänge und wusste, dass Langnase seine Mitmenschen klarer einschätzen konnte als ich: Die ersten Neugierigen wagten sich heraus …
    »Brenne, Christusmörder!«, schrie Langnase und tanzte seinen Derwisch-Tanz in der hitzezuckenden Luft, »Brenne, Mörder von Sankt Avellino! Brenne, lemel , brenne !«
    Ich spürte, wie mein Atem aussetzte. Langnase fuhr herum und stieß die beiden Männer, die den Gefangenen hielten, beiseite. Jana stöhnte auf und schlug die Hände vor die Augen. Nicht weit entfernt von uns schwang eine Tür auf, warf den trüben Lichtbalken einer Tranfunzel, die dahinter entzündet war, auf das Pflaster und enthüllte drei, vier Menschen, die in den Schein hinaustraten und stehen blieben, mit den Händen die Augen beschattend, um besser nach vorn sehen zu können. Plötzlich hatte ich die Vision, wie sie vor wenigen Augenblicken noch zitternd an ihren Fenstern gestanden waren, bis sie Langnases Geschrei hörten: Wen hat er? Einen Juden ? Geht’s jetzt gegen die Juden?
    Langnase packte den Gefangenen um die Mitte.
    »Rat von Krakau!«, kreischte Langnase. »Volk von Krakau!« Es gab keinen Zweifel daran, dass er wusste, die Stadt gehörte im Augenblick ihm. Wer nicht auf seiner Seite war, hatte sich verkrochen; der Rat war dumm genug gewesen, sich selbst jeder Unterstützung zu berauben, und verkroch sich ebenfalls. Langnase hob seinen Gefangenen in die Höhe, stemmte ihn hoch über seinen Kopf und schleuderte ihn in auf den Scheiterhaufen. Ich sah die dunkle Gestalt aufprallen, dann wurde sie von den Flammen verschluckt. Jana wirbelte herum und prallte gegen mich; sie packte mich und presste ihr Gesicht in mein Wams.
    » brenneeeee !«, schrie Langnase und erhielt als Antwort einen Choral von rund um den Scheiterhaufen herum: » brenneeee !«
    »O mein Gott«, würgte Jana.
    Ich sah unwillkürlich zu den Fenstern des Rathausturms hinauf, hinter denen ich die Herrenstube wusste. Wie lange, bis Bürgermeister Betmann entweder selbst schwach wurde oder den Forderungen der Fraktion der Feiglinge nachgab?
    Jana starrte mich an. Ich hatte den Eindruck, dass sie erst jetzt erkannte, wer sie festhielt.

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