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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Ihr Gesicht leuchtete plötzlich grell auf, für den Bruchteil eines Moments waren ihre Augen brandrote Lichter, als brenne das Feuer des Scheiterhaufens dahinter; ein mörderischer Keil aus Licht spaltete den Himmel und ließ den, der zufällig hinaufsah, in den Abgrund blicken, der jenseits der Weltscheibe brodelt; die Spitze des Rathausturms stach in den Höllenschlund hinein und schien zu erbeben; der Scheiterhaufen verblasste zu einem Kaminfeuer, auf das die Sonne scheint; und die Dunkelheit fiel wieder über die Stadt, und mit ihr kam jener Augenblick der Stille, in dem das Gesehene im Körper nachhallt wie ein Dröhnen und das Gehörte vor den Augen Tänze aufführt …
    »Peter«, sagte Jana atemlos.
    … und die Kugeln, die über den Himmel gerollt waren, rollten jetzt über die Stadt hinweg, und sie waren riesig und wälzten sich über alles hinweg, was in ihrem Weg stand, ein Zermalmen aus Laut und ein Zerschmettern aus Ton, das die Ohren hörten, aber der Körper spürte und das die Bauchdecke hilflos erbeben ließ und einen in die Knie zwang. Das Donnergrollen eines Unwetters, das sich endlich von der Leine gerissen hatte. Friedrich von Rechberg hatte vergessen zu erwähnen, dass auch dies zu hören sein würde, wenn die Reiter der Apokalypse über die Menschen kamen.
    Der Scheiterhaufen brüllte auf und wirbelte seine Flammen bis über das Dach der Tuchhallen empor; der Teufelsschmied blies in die Esse der Hölle. Ich sah die Gestalten, die vor dem Feuer gestanden waren, zurücktaumeln. Dann raste der Windstoß heran und hüllte auch Jana und mich ein, Rauch, Staub und kleine Steinchen und der immer noch reine, vollkommendeplatzierte Duft von trocken brennendem Holz in der Sommerluft, Janas Haube flatterte in die Höhe, ihr aufgestecktes Haar wurde losgerissen und peitschte mir ins Gesicht und löste den Brandgeruch durch Küchendüfte, Olivenöl und ihr Apfelparfüm ab, es flatterte um mein Gesicht wie ein panischer Vogel, der seine Schwingen schlägt; ein zweiter Donnerschlag, nicht weniger übermächtig als der erste, Jana schrie auf, und ich gab dem Wind nach und ließ ihn uns in die Sankt-Anna-Gasse hineintreiben, Jana ein stolperndes Gewicht in meinem Arm, bis ich den Eingang in unsere Gasse wieder erreichte und uns hinter der Häuserecke in Sicherheit brachte. Der Wind heulte vor Wut und warf Sand nach uns.
    »Peter!«, schrie Jana. Sie zitterte haltlos, oder war ich es, der zitterte? »Peter! Wer war das?«
    »Niemand«, schrie ich zurück. Ich hatte das Bild vor Augen, wie Langnase die Gestalt in seinen Armen in die Höhe stemmte und ins Feuer schleuderte und wie diese davon sofort verschluckt wurde. »Ein Versprechen, mehr nicht!« Mehr nicht? Ich spürte meinen Herzschlag wieder, als ich gedacht hatte, Langnases Leute würden einen Menschen ins Feuer stoßen; und wie mir der Atem ausgegangen war, als ich den Namen gehört hatte.
    lemel !
    Ein paar Dutzend Schritte entfernt flog das Tor zu Janas Haus auf. Ich sah Daniel, der an der Spitze einer Truppe von fast einem Dutzend Männer herausstürzte, eine Fackel in der Faust. War erst so wenig Zeit vergangen? Und hatte ich nicht gesagt, ich würde sie begleiten, wenngleich ich überzeugt war, dass wir Paolo damit nicht aufstöbern würden?
    Wovon war ich eigentlich überzeugt? Dass wir Paolo – niemals – wieder finden würden?
    »Es war eine Strohpuppe«, sagte ich.

    Jana riss sich los. Sie stand in der Gasse, als wüsste sie nicht, wohin sie sich wenden sollte.
    »Was tust du hier?«, keuchte sie.
    »Ich bin dir nachgelaufen.«
    »Warum suchst du nicht nach Paolo?«
    Daniel lief auf uns zu. Ich sah ihn im Sprung eingefroren, als ein neuer Blitz über den Himmel zuckte, und ich sah ihn immer noch in der erstarrten Bewegung in der Luft hängen, als er schon vor mir stand. Seine Mannschaft drängte sich vor dem Tor zusammen »Das ist das Jüngste Gericht«, rief er. Seine Augen waren unstet.
    »Das da oben ist nur ein Gewitter«, erwiderte ich, »das noch nicht mal direkt über der Stadt ist.
    Er warf Jana einen Seitenblick zu. »Bleib hier«, keuchte er. »Einer mehr oder weniger erhöht unsere Chancen auch nicht.«
    »Welche Chancen?«, schrie Jana. »Dass wir meinen Sohn wieder finden? Redest du von Chancen ? Glaubst du an die Möglichkeit, ihn nicht wieder zu finden?«
    Der Donner prallte in die Gasse herein. Jana duckte sich. Von Daniels Suchmannschaft hörte ich erschreckte Aufschreie. Der Wind drehte sich und peitschte jetzt herein, riss

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