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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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de’ Medici verwickelt worden war. Ich hatte in einem Wettlauf gegen die Zeit versucht, das Komplott aufzudecken und Jana vor der Folter und dem Tod an dem Galgen zu bewahren. Letztlich war der Richtige am Galgen gelandet, was für mich zwar Erleichterung, aber keine Freude beinhaltet hatte – aberein weiteres Ergebnis aus dieser Geschichte war gewesen, dass Lorenzo de’ Medici eine Art Respekt vor Jana und so etwas wie ein schlechtes Gewissen wegen des Vorgehens seiner Justiz entwickelt hatte. Das schlechte Gewissen war vergangen, der Respekt nicht …
    Als ich aus dem Schlafzimmer wieder auf den Gang stürzte, erinnerte ich mich an Florenz – nicht an das Komplott, sondern an das Schweigen, das damals zwischen Jana und mir geherrscht hatte. Es war so weit gegangen, dass Jana mich nicht mehr in ihre Pläne eingeweiht hatte und ich während meiner hektischen Versuche, die Geschichte aufzuklären, nicht nur mit den geschickt fabrizierten Beweisen für Janas Schuld an der Pazzi-Verschwörung zu ringen hatte (die selbst mich ins Zweifeln brachten), sondern auch mit dem Gefühl, dass ich für eine verlorene Liebe kämpfte.
    Jana war einfach gegangen. Sie hatte nicht gelogen; sie hatte uns annehmen lassen, sie zöge sich in ihre Kammer zurück, und hatte stattdessen das Haus verlassen. Ich spähte in den Innenhof. Der Knecht, den Sabina beim Tor postiert hatte, war eine graue Gestalt, die wie die Parodie einer echten Torwache auf- und abschritt und alle naselang durch die kleine Klappe hinausspähte – ohne Zweifel auf eine leere Gasse. Jana hatte nur wenige Augenblicke Vorsprung; wenn sie dort hinausgegangen wäre, hätte sie zumindest die Routine des Postens unterbrochen. Ich starrte ratlos hinunter in den Hof.
    Daniel kam aus dem Saal. Als er mich sah, blieb er abrupt stehen. »Was ist …?«
    Ich atmete tief ein. »Der Hinterausgang«, sagte ich. Jana war nicht das Risiko eingegangen, am offenen Saal vorbeizuschleichen; stattdessen war sie zum Hinterausgang hinausgehuscht. Ein Dieb in der Nacht …
    Ich ließ Daniel stehen und lief zum anderen Ende des Gebäudes, wo eine schmale Hintertreppe aus der gleichen Epoche wie das wehrhafte Eingangstor ins Erdgeschoss hinunterführte.Daniel rief mir eine Frage hinterher, aber ich ignorierte ihn. Im Gang, der zum Hinterausgang führte, sah ich ein Unschlittlicht brennen; ein Mann saß davor auf einem Fass, das er sich aus dem Lager herangerollt hatte, und schnitzte an einem Brett herum. Als er mich sah, stand er auf. Ich erkannte, dass er keiner der Hausknechte, sondern einer der Buchhalter Janas war, ein älterer Mann, der seine ersten Schritte im Geschäftsleben noch unter Janas Vater getan haben musste. Er besaß die Gelassenheit eines Angestellten, der wusste, wie viel er seinem Arbeitgeber wert war. Dass er sich den Posten als Wache an der Hintertür ausgesucht hatte, passte zu ihm – bei einem Angriff auf das Haus war sie der schwächste Punkt in der Verteidigung.
    »Das Brett?«, fragte ich auf polnisch.
    Er hielt es hoch und lächelte. An einem Ende hatte er so etwas wie einen Griff geschnitzt – das Brett sah aus wie das klobige Modell zu einem Schwert, mit dem der Schmied noch viel Arbeit haben würde. Er nahm es am Griff und durchschnitt damit die Luft. Seine tintenfleckigen Finger umklammerten seine Waffe so krampfhaft, dass jeder halbwegs geschickte Raufbold sie ihm innerhalb von zwei Augenblicken aus der Hand geschlagen haben würde.
    »Wer hier rein will, sollte sich vorsehen«, sagte er und zog ein grimmig-entschlossenes Gesicht. »Begleiten Sie die Herrin?«
    Ich nickte ohne Überraschung. Er nickte mit.
    »Gut. Ich wollte sie überzeugen, nicht allein hinauszugehen, aber Sie wissen ja …« Er zuckte mit den Schultern und lächelte das Lächeln eines Mannes, der seine Herrin schon gekannt hat, als sie noch in die Windel gewickelt war und sich in einem Trotzanfall auf dem Boden wälzte.
    »Keine Angst«, sagte ich und zwang mir ein Grinsen ab. »Auf mich hört sie auch nie.«
    Er schob den Riegel beiseite und zog die Tür auf. Ich trat hinaus.
    »Danke«, sagte ich.
    Er schüttelte als Antwort seine Waffe und fletschte die Zähne, als wäre er ein zu allem entschlossener Landsknecht. Die Tür fiel wieder zu, der Riegel scharrte, und ich stand in der Stichgasse. Jana hatte den gleichen Fluchtweg gewählt wie Paolo.

    In der Schwüle hingen die Gerüche der Stichgasse als greifbares Element und schnürten mir die Kehle zu. Die Dunkelheit hier, die den

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