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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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drosch auf uns ein und drehte sich wieder. Die Gasse leuchtete unter einem Blitz auf, und Donner erfüllte sie kurz danach, ohne dass beide die Kraft der vorherigen Entladungen gehabt hätten. Mein Körper vibrierte mit dem Donnerrollen, mehr noch aber mit dem Zittern, das Jana in meinen Armen beben ließ.
    »Ich habe Paolo hinausgetrieben mit all den Halbwahrheiten und dem Schweigen der letzten Wochen«, sagte Jana. »Ich habe zu lange gedacht, ich könnte die Entscheidung hinausschieben, weil sie mein – weil sie unser ganzes Leben betrifft und weil ich nie gedacht hatte, einmal vor der Situation zu stehen, in der ich sie treffen müsste. Wie immer ich mich entschied, ich würde etwas verlieren, das einen Teil meines Lebens ausmachte.«
    Ich nickte. Ich konnte nicht sprechen. Wie es schien, ging das zweite Leben, das Gott mir nach dem Tod Marias geschenkt hatte, heute unter, aber sein Ende war viel zu erbärmlich, als dass es dazu die Untermalung eines Unwetters und den Scheiterhaufen auf dem Tuchmarkt gebraucht hätte. Es endete mit einem Geständnis in einer dunklen Gasse, durch die der Wind fuhr, während mein Herz nicht wusste, ob es lauter nach Paolo oder nach Jana schreien sollte.
    »Ich habe gesagt, dass ich die größte Liebe, die ich empfinde, aufteile«, fuhr Jana fort. »Die eine Hälfte gehört einem kleinen Jungen, die andere gehört einem Mann.«
    »Ja«, sagte ich. Es gab nichts anderes zu sagen. Meine Lippen waren taub. Ich habe mich oft gefragt, wie es einem Verurteilten gelingt, ruhig und ohne Aufbegehren vor dem Scharfrichter niederzuknien und seine Anweisungen zu befolgen. Es liegt daran, dass man im Moment des Horrors froh ist über jede Führung, die einem zuteil wird; selbst über die des Henkers. Hätte man sie nicht, man würde auseinander fallen.
    »Sie gehört dir«, sagte Jana.
    Ich antwortete nicht. Ich war dort, wo ich sieben Jahre lang gewesen war, von Marias Tod bis zu dem Tag, an dem Jana inmein Leben gekommen war. Ich hörte ihre Worte, aber ich verstand sie nicht.
    »Peter?«
    »Ich bin …«
    »Ich schäme mich dafür, dass ich es so weit habe kommen lassen.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Ich habe eine Sünde gegen dich begangen, Peter Bernward«, schluchzte sie, »und meine Seele schreit um Vergebung.«
    »Ich vergebe dir«, hörte ich mich sagen.
    Janas Schluchzen verstärkte sich, dann gab etwas in ihr nach, und sie hing in meiner Umarmung wie ein Kind und weinte Rotz und Wasser auf mein Wams. Ich strich ihr über den Kopf und flüsterte etwas, das ich nicht mehr weiß, während gleichzeitig mein Herz brach und meine Tränen auf meine Hände und auf ihren Scheitel tropften. Ich verstand immer noch nichts, doch ich wusste, dass ich sie festhalten musste. »Ich liebe dich«, brachte ich schließlich hervor.
    Jana schien es nicht gehört zu haben. Ihr Körper wurde von Schluchzen geschüttelt. Dann schrie sie plötzlich gepeinigt auf, und das Ende ihres Schreis wurde zu einem Gebet: »Herr, lass mir die beiden Menschen, denen meine Liebe gehört!«

    Vor elf Jahren hatte ich mein Geschäft in Landshut aufgeteilt: zu einem Drittel an meinen ehemaligen Verwalter, einem Drittel an den Apotheker Sebastian Löw, ein Drittel verblieb bei mir. Danach war ich Jana hinterhergereist, die mich aus dem Nicht-Leben aufgeweckt hatte, das ich seit Marias Tod geführt hatte. Mein Verwalter war seit langem bei seinem Schöpfer, aber Sebastian Löw, mittelgroß, kugelrund, Apotheker aus Leidenschaft und Geschäftsmann aus Überzeugung, hatte die Fahne der Firma Bernward & Partner in Landshut über all die Jahre hochgehalten. Ich hatte kaum jemals in die Geschäfte eingegriffen, die er in unser beider Namen machte; ich war ein stillerTeilhaber gewesen, der in regelmäßigen Abständen Abschriften der Rechnungsbücher erhielt (stets in Gesellschaft eines versiegelten Krugs mit selbstgebranntem Trester, dem Sebastian Löw ebenso viel Heilwirkung zuschrieb wie seinem Konfekt) und bei seinem Partner in einer Achtung stand, die er nicht wirklich verdient hatte. Was immer Sebastian Löw angefasst hatte, der Gewinn war stets beträchtlich gewesen; und statt die Überschüsse in Filialen in fernen Ländern zu investieren, deren politische Entwicklung nicht berechenbar war, hatten er und ich unsere Gewinne in die Beteiligung an Handelsgesellschaften und die Entdeckung neuer Handelsrouten gesteckt. Daraus – und aus unseren guten Beziehungen zu Lorenzo de’ Medici – resultierte letztlich die Katastrophe.

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