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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Daniel die Worte vom Mund und löschte seine Fackel. Ich taumelte unter dem Ansturm der warmen Luft und blinzelte, um den Sand aus den Augen zu bekommen. Daniel stand mit offenem Mund da und starrte die Fackel an, von der der Wind eine fette Rauchfahne davonwirbelte.
    »Lauf«, keuchte ich. »Ich bleibe hier.«
    Er rannte davon, wild gestikulierend. Seine Männer – Schreiber und Knechte, wild gemischt, wenn einer fehlte, dann weil Daniel ihm befohlen hatte, im Haus zu bleiben – spritzten auseinander und liefen nach links und rechts aus der Gasse hinaus. Der Himmel glühte, als hätten die Blitze ihn in Brand gesteckt, ein riesiger Scheiterhaufen, der auf uns alle wartete; in seinemWiderschein sah ich Janas Gesicht. Sie weinte lautlos. Ich machte einen Schritt auf sie zu, und sie wich einen zurück.
    »Geh nicht«, schrie ich. Ich hatte Sand zwischen den Zähnen und Glasscherben im Hals.
    »Halt mich nicht auf!«, schrie sie zurück. »Ich habe schon viel zu lange gewartet.«
    Ich sah sie plötzlich wieder vor mir, wie sie hinter der Hausecke hervortrat und Zofias und meinen Verfolger mit dem Wassereimer außer Gefecht setzte, die Augen blitzend wie die einer Furie. Hatte ich in diesem Moment wirklich geglaubt, es könne sich alles zum Guten wenden? Der Wind drehte sich erneut, und in der Gasse kehrte fast so etwas wie Ruhe ein. Das Rumpeln des Gewitters dröhnte, doch nach den beiden Donnerschlägen vorhin war es beinahe leise. Der Wind heulte, wo er ein paar Schritte um die Ecke herum auf den Vorsprung des Universitätsgebäudes traf und die Gassenverengung zur Rohrflöte von Gottes Zorn wurde.
    »Ich bin schuld!«, schrie Jana. »Ich habe ihn aus dem Haus getrieben.«
    »Was willst du jetzt tun?«
    Sie starrte mich über die Gasse hinweg an.
    »Ich wollte ihm nie wehtun«, sagte sie; ich ahnte es mehr, als dass ich es hörte. »Ich wollte dir nie wehtun.« Dann schrie sie: »Such ihn! Warum suchst du ihn nicht?«
    »Weil es nichts gibt, war ich jetzt für ihn tun kann!« Mir wurde von meinen eigenen Worten schlecht, doch sie waren die Wahrheit. »Ob ich mit Daniel und dem Gesinde mitlaufe oder nicht, macht keinen Unterschied.«
    Ihre Augen waren Löcher in ihrem Gesicht. Ihr Haar hing wirr herab, einzelne Strähnen hatten sich um ihr Gesicht gewickelt oder flatterten müde in den schwachen Windstößen, die sich hier herein verirrten. Ich sah in die Augenlöcher hinein und sah die Angst und musste darum kämpfen, dass ich mich der Panik nicht ergab, die daraus auf mich übersprang.
    »Ich kann nur dir helfen«, sagte ich.
    »Er ist noch ein Kind! Er ist unser Sohn. Er ist dein Sohn.«
    »Und du bist meine Frau. Die Frau, die ich liebe.«
    Jana setzte sich plötzlich mitten in der Gasse auf den Boden. Ich war heran, noch bevor sie das Gesicht in den Händen vergraben oder versuchen konnte, sich aufzurappeln. Ich spürte die Steinchen nicht, die sich in meine Knie bohrten, als ich neben ihr auf den Boden sank. Ich packte sie und hielt sie fest.
    »Ich weiß nicht, wo Paolo ist«, sagte ich. »Ich habe jedoch alle möglichen schrecklichen Vorstellungen.«
    Ihre Stimme kam aus einer Welt, die grau vor Trauer war. »Wider alle Hoffnung hoffe ich«, sagte sie tonlos.
    Ich spürte den Knoten, der in meine Kehle stieg.
    »Ich auch«, flüsterte ich. »Ich auch …«
    »Es gibt zwei Dinge auf dieser Welt, die ich von Herzen liebe«, hörte ich Jana sagen. An ihrer Stimme erkannte ich, dass sie erneut zu weinen angefangen hatte – und dass ihre Kraft beinahe erschöpft war. »Manchmal weiß man erst, wie sehr man liebt, wenn die Gefahr besteht, dass man das Objekt seiner Liebe verliert. Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich Paolo liebe?«
    »Ja.«
    »Wenn Paolo etwas zustößt … es sagt sich leicht: Das Leben geht weiter. Es sagt sich genauso leicht, dass für einen das Leben zu Ende ist, wenn er einen Menschen, den er liebt, verliert. Paolo … ich weiß, dass das Leben weitergehen würde, selbst wenn es ihn nicht mehr gäbe, genauso wie ich weiß, dass ich es als eine lebende Tote führen würde.«
    »Ich kenne das Gefühl«, sagte ich. Die Glasscherben waren jetzt überall, auch in meinem Mund.
    »Auf der Stelle würde ich alles, was ich habe, dafür geben, wenn der Kleine in diesem Moment daherkommen und rufen würde: O Mutter, ich hoffe, Sie haben sich keine Sorgen gemacht – ich habe beim Spielen die Zeit vergessen. Ist das nicht ein tolles Unwetter? Geht die Welt jetzt unter?«
    Der Wind sprang herein,

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