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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Augen kaum einen Halt bot, verstärkte sie noch. Fryderyk Miechowitas Brandmauer ragte zu meiner Linken auf. Ich hätte sie am liebsten mit den Füßen traktiert. Über den Himmel rollten monströse Steinkugeln; noch waren sie nicht über der Stadt, aber ihr Rumpeln konnte man deutlich hören; sie arbeiteten ohne Unterlass, und auf ihnen wälzte sich das Unwetter heran.
    Als ich in die Schustergasse hinauslief, blieb der scharfe Gestank der Stichgasse hinter mir zurück, und ich konnte etwas anderes riechen: Brand. Ich schluckte. Die Gasse vor Janas Haus war eine schmale Schattenschlucht. Wider alle Vernunft hatte ich gehofft, Jana dort noch anzutreffen, doch ihr Vorsprung war zu groß. Ich hastete die Gasse entlang, wertvolle Augenblick vergeudet durch meinen eigenen Umweg über den Hinterausgang. Das Tor zu Janas Haus blieb hinter mir zurück; ich hörte die Klappe sich öffnen – ohne Zweifel war der Posten aufgeschreckt und versuchte nun festzustellen, wer vorbeigelaufen war. Ich war längst außer Sichtweite. Wo die Gasse in die Sankt-Anna-Gasse mündete, flackerte das Licht. Es war zu gelb, um vom Wetterleuchten zu stammen. Zusammen mit dem unablässigen Donnergrollen, das von den Hauswänden widerhallte, machte es den Eindruck, als öffne sich dort vorn die Pforte zur Hölle. Ich wäre nicht erstaunt gewesen, einen Torbogen zu sehen mit der Inschrift: Die ihr durch mich tretet, lasst alle Hoffnung fahren. Ich war nicht bereit, die Hoffnung aufzugeben, doch meine Beine schienen mit Werg ausgestopft zu sein und mich nur voranzutragen, weil ich mir jeden Schritt abzwang.
    Von der Mündung in die Sankt-Anna-Gasse war ein kleiner Teil des Tuchmarkts zu überblicken. Das gelb flackernde Licht machte Schatten zucken, wo sich nichts regte, und tanzte auf der vorspringenden Ecke des Universitätsgebäudes. Das Donnergrollen erstickte jedes andere Geräusch, dennoch glaubte ich das Prasseln des Scheiterhaufens zu hören und das Geheul der Fanatiker, die darum herumsprangen. Die Seite der Sankt-Anna-Gasse, auf der sich Miechowitas Haus befand, lag im Dunkeln; ich ahnte die Fassade der Sankt-Anna-Kirche mehr, als dass ich sah, aber wenn das Wetterleuchten über den Himmel zuckte, sah ich sie als dunklen Schattenriss. Ich versuchte die Frage beiseite zu drängen, ob Langnase und seine Verrückten den Scheiterhaufen angezündet hatten, weil ihnen jemand in die Hände geraten war, den sie darauf verbrennen konnten
    (Paolo)
    (Jana)
    da sah ich sie.
    Sie war nur ein Umriss, der im Widerschein des Feuers waberte, doch ich hätte sie auch unter noch schlechteren Sichtverhältnissen erkannt. Sie stand am Ausgang der Sankt-Anna-Gasse zum Tuchmarkt, das Gesicht dem Marktplatz zugewandt. Sie schien jedes Mal, wenn das nicht mehr so ferne Donnern lauter wurde, zu erzittern, aber ich wusste, dass das nur ein Trick des Lichts war. Ich zögerte einen Augenblick lang, dann setzten sich meine werggefüllten Beine wie von selbst in Bewegung, und ich trottete schwerfällig auf Jana zu.
    Sie drehte sich nicht um, als ich hinter ihr ankam. Sie musste mich trotz des Lärms gehört haben, doch sie starrte nur nach vorn. Der Feuerschein musste sie angezogen haben, als sie aus unserer Gasse trat, und statt dass sie sofort zu Miechowita gegangen wäre, war sie wie im Traum in die entgegensetzte Richtung zum Tuchmarkt geschritten, um nachzusehen, was dort los war. Das flackernde Licht offenen Feuers zieht jeden Menschen an, den einsamen Wanderer, der sich davon Wärme erhofft, wieden Stadtbewohner, der vor seinem geistigen Auge bereits die halbe Stadt brennen sieht. Heute kam noch der Umstand dazu, dass Jana genauso wie ich Zeuge der Errichtung des Scheiterhaufens geworden war. Ich wusste nicht, ob ihr Herz oder ihr Verstand sie zu Miechowita hatten treiben wollen; das Entsetzen jedenfalls hatte sie zur Mündung des Tuchmarkts gezogen und dort festgehalten.
    »Das ist meine Stadt«, hörte ich sie flüstern. »Was geschieht mit meiner Stadt?«
    Ich starrte voller Horror auf die Szene, die sich vor dem Rathausturm abspielte. Langnases Anhänger standen wie Götzenanbeter vor den hoch auflodernden Flammen, und in ihrer Mitte hing eine menschliche Gestalt wie erstarrt in den Armen zweier Männer, die sie in Richtung Scheiterhaufen zerrten.

    Das Bild brannte sich in meine Augen ein, als würde das Feuer in meinem Schädel flackern. Im Augenblick großen Entsetzens springen einen manche Dinge förmlich an, und die geringsten Details der Umgebung

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