Der Sohn des Tuchhändlers
Wie groß diese tatsächlich war, war mir nie bewusst gewesen, bis Jana mir die Sünde gestand, die sie an mir begangen hatte.
Seit Jahren suchten die Portugiesen nach einem Seeweg um Afrika herum; Lorenzo de’ Medici, auf dem Höhepunkt seiner Macht, hatte es sich nicht nehmen lassen, eine eigene Expedition zu finanzieren, und Sebastian Löw investierte, ohne mich zu fragen (die Sache war eilig gewesen, und wenn er mich gefragt hätte, hätte ich seinem Vorhaben zugestimmt, also war es letztlich ohne Belang, dass er selbständig gehandelt hatte) einen beträchtlichen Anteil unseres Vermögens in Lorenzos Unternehmung.
Die Schiffe wurden gebaut und ausgerüstet und liefen in Pisa aus. Sie hatten noch keine einzige Meile fremden Seewegs erkundet, als sie zwischen Madeira und dem Festland mit Mann und Maus untergingen und der größte Teil des Vermögens der Firma Bernward & Partner mit ihnen.
Das war schlimm, aber es kam noch schlimmer.
Noch jemand hatte – unabgestimmt – in Lorenzo de’ Medicis prestigeträchtiges Vorhaben investiert, und zwar noch mehr als Bernward & Partner. Als Lorenzos Expeditionsflotte von einemder gelegentlich vorkommenden bösen Frühjahrsstürme im Jahr 1486 südlich von Casablanca eingeholt und versenkt worden war und nichts von ihr blieb als bunt bemaltes Treibholz, das etliche Tage später an den Nordküsten von Teneriffa, Lanzarote, Las Palmas und Fuerteventura angetrieben wurde, war das Haus Dlugosz drei Viertel seines Reichtums los.
Janas Investition war beträchtlich gewesen. Vielleicht hatte sie gedacht, es Lorenzo de’ Medici und seiner in all den Jahren nie schwankenden Treue zu seinem Versprechen schuldig gewesen zu sein; sie wusste selbst nicht mehr, was sie dazu verleitet hatte, ein so großes Risiko einzugehen, als sie mir in stockenden Sätzen beichtete, was geschehen war. Jedenfalls hatte ihre Beteiligung, die buchstäblich in letzter Minute erfolgt war, dazu geführt, dass sich das Auslaufen der Schiffe um eine Woche verzögerte. Ohne diese Verzögerung wäre das kleine Geschwader sicher im Hafen Las Palmas gewesen, während der Sturm das Meer zwischen Madeira und Gran Canaria in einen kochenden Hexenkessel verwandelte. Sebastian Löw hatte also irgendwie doch den richtigen Riecher gehabt – nur die Gefährtin seines Partners war ihm ungeplanterweise in die Quere gekommen.
Jana hatte ihrer und meiner Firma, ohne es zu wollen, das Fundament unter den Füßen weggezogen. Und während ich die ganze Tragweite der Sachlage noch gar nicht richtig überblickte oder sie verdrängte, weil mein Kopf voll war mit dem Plan, gleichzeitig meine Familie wieder zu vereinen, Paolo in seinen zweiten Lebensabschnitt zu verabschieden und Jana einen Heiratsantrag zu machen, rechnete Jana Modell um Modell durch, alle mit dem gleichen Ergebnis: Bernward & Partner und das Haus Dlugosz würden innerhalb der nächsten zwölf Monate bankrott sein, wenn nicht ein Wunder geschah.
»Miechowita war das Wunder?«, fragte ich ungläubig.
»Ich hätte dir von Anfang an reinen Wein einschenken sollen«, sagte Jana.
»Ich dir auch.«
»Aber deine Motive waren edler als meine.«
»Unsinn. Alles, was ich wollte, war, als derjenige dazustehen, der bei Paolos Feier die größte Überraschung aus dem Sack zieht.«
»Paolo«, sagte sie und begann wieder zu weinen. »Peter, hast du eine Ahnung, wo er sein kann? Was mit ihm geschehen ist? Wenn du etwas weißt und es mir verschweigst …«
»Ich weiß nichts, Jana. Ich bin ebenso ratlos wie du. Und ich sterbe vor Angst um ihn.«
»Glaubst, dass ihn … dass diese Leute …« Sie gestikulierte zum Marktplatz. Mittlerweile war von dort ein dünnes, aufund absteigendes Geräusch zu hören, das sich sporadisch über das jähe Jaulen der Windstöße und dem unablässigen Donnern durchsetzte. Es hätte sich wie das ferne Jammern eines Klageweibs angehört, wenn ich nicht gewusst hätte, dass es Langnase war, der seinen Anhängern eine Rede hielt.
»Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, aber ich weiß es nicht.«
»Ich habe solche Angst.«
Ich verstand kein Wort von dem Gift, das der dünne Mann mit dem zerfledderten Mantel seinen Aposteln auf dem Marktplatz in die Ohren schrie; aber ich ahnte, dass selbst seine geringen rhetorischen Fertigkeiten reichten, um den Blutdurst der Verblendeten rund um den Scheiterhaufen endgültig zu entfesseln. Wenn er sie so weit hatte, würden sie Fackeln an ihrem Fegefeuer entzünden oder einfach brennende Prügel aus
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