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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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kleiner Scheißer, dann wird nicht mal Gott der Herr dich vor der Tracht Prügel retten können, die du schon vor zehn Jahren hättest bekommen sollen.«
    Sein Mund öffnete sich empört.
    »Nimm ihn mit«, sagte ich zu Jana und stieg schon die Treppe empor. »Bevor noch der Blitz hier einschlägt – offen stehendeTüren ziehen das Gewitter an.« Ich hörte ein ängstliches Luftholen, das garantiert nicht von Jana gekommen war.
    Als ich im Obergeschoss ankam, machte ich mir keine Gedanken mehr über Samuel ben Lemel. Was uns gerade eröffnet worden war – und was Jana mindestens ebenso schnell wie ich erkannt hatte – bedeutete nichts weniger, als dass Miechowita und Gott-weiß-wer noch im Haus waren. Anders als bei Jana gab es hier keinen Hinterausgang; ich hatte die Rückfront des Gebäudes selbst in Augenschein nehmen können. Hin- und Hergerenne? Das Geräusch eines Falls? Jana waren die Implikationen in dem Moment klar geworden, in dem wir die Blicke getauscht hatten. Da war nichts umgeworfen worden, ein Schreibpult etwa; da war etwas zu Boden gefallen, etwas Schweres. Ein menschlicher Körper ist schwerer als vieles, was in einem kleinen Raum herumstehen kann.
    Wer fehlte noch in unserem Reigen? Weigel und Joseph ben Lemel waren im Rathausturm, Zofia und in den nächsten Augenblicken auch Samuel waren in Janas Haus. Mojzesz? Konnte es sein, dass Miechowita ihn in sein Haus verschleppt hatte? Die Juden konnten ihm entweder nützlich sein (wenn sie für seinen Plan günstige Kredite gewährten) oder gefährlich (wenn sie den König überzeugen konnten, am Ende ihr Geld doch anzunehmen). Wollte Miechowita in aller Ruhe und mit dem Druck der Tatsache, dass Mojzesz ihm ausgeliefert war, den Bankier zu dem einen überreden und vom anderen abbringen? Aber wie hätte er diese Entführung … Daniel und ich hatten die Wachen doch gesehen! Natürlich bedurfte es nur eines nicht mal besonders großen Aufwands an Geld, um jeden dahergelaufenen Schurken als Wachposten auszurüsten, und dank der Idiotie des Rats, die eigentliche Wache zu internieren, konnte sich jeder, der wollte, als Stadtwache aufführen, ohne dass ihn die eigentlich Berufenen aufhielten. Trotzdem …
    Ich wusste nicht, ob meine Überlegungen zutrafen. Ich wusste nur zwei Dinge, als ich oben am Ende der Treppe stand.
    Sowohl das Unwetter als auch Langnases fanatische Anhänger würden jeden Moment über die Stadt herfallen, und beide trugen Feuer und Zerstörung mit sich.
    Und ich war vermutlich mit einem Mörder allein in diesem fremden Haus.

    Ich versuchte die Lage der Türen im Erdgeschoss auf das Obergeschoss zu übertragen. Samuels Worten und seinen Gesten hatte ich entnommen, dass er das Hin- und Hergerenne (den Kampf) und den Fall direkt über seinem Kopf wahrgenommen hatte. Bei der Dicke der Mauern konnte es auch gar nicht anders sein – Geräusche aus einem anderen Zimmer wären nicht zu ihm gedrungen. Die eine Tür, die offen stand, hatten wir geöffnet. Samuels Versteck war nicht weit von der Treppe entfernt; also musste sich das Zimmer darüber in meiner unmittelbaren Nähe befinden. Ich hörte das Aufheulen des Windes, als unten die Eingangstür geöffnet wurde und Jana zusammen mit Samuel (daran hatte ich keinen Zweifel) das Haus verließ; die offene Türe schwang herum und fiel scheppernd ins Schloss. Der Windstoß hatte den Brandgeruch vom Scheiterhaufen auf dem Tuchmarkt mit hereingetragen; ich konnte ihn deutlich über dem abgestandenen Essensgeruch und den sonstigen Düften des Hauses wahrnehmen.
    Ich stand noch immer bewegungslos auf dem Treppenabsatz. Mein Atem war flach. Wenn Miechowita – ich hatte keinen Augenblick Zweifel daran, dass er es war, der bei dem von Samuel vernommenen Kampf als Sieger hervorgegangen war – die Eingangstür gehört hatte, dann musste er annehmen, dass seine ungebetenen Gäste wieder gegangen waren und herauskommen. Er tat mir jedoch den Gefallen nicht. Wenn das Gewitter nicht gewesen wäre, hätte man im Haus eine Maus im Trockenspeicher über den Boden huschen hören, so still war es. Tatsächlich bildete ich mir ein, trotz des Gewittergrollens alles Mögliche zu hören, knackende Holzbretter, das Gebälk, das sich unter demDruck der Windstöße neu setzte, das leise Knarren, das Schritte in einem entfernten Raum verursachten. Welche der Türen lag direkt über der, hinter der wir Samuel gefunden hatten?
    Nach ein paar Augenblicken erkannte ich, was meine Orientierung so erschwerte: Es gab keine

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