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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Miechowitas Ende keineswegs das Ende von alldem war, was hier passierte. Ich schoss in die Höhe, stolperte um die Leiche herum und stürzte zum Fenster. Wie alle in Miechowitas Haus ging es zur Straße hinaus, und so wie ich heute Daniel im Aufzucken eines Blitzes wie eingefroren im Sprung in der Luft hatte hängen sehen, lang nachdem er schonweitergelaufen war, sah ich auch Miechowitas Mörder in der Bewegung erstarrt. Ich sah ihn in meine Augen eingebrannt, seinen breiten Rücken, seinen kahlen Hinterkopf, pumpende Arme und Beine, seine nach vorn geneigte, rennende, rasende Gestalt. Ich brauchte diesen Nachhall des Augenblicks, den der Blitz mir offenbart hatte, gar nicht. Ich hatte ihn schon im ersten Augenblick erkannt.
    Ob er mich mit dem einen Schuh nur hatte weglocken wollen, um selbst ungesehen zu entkommen, ob er mich nur hatte einsperren wollen, um die Leiche zu beseitigen, oder ob er es tatsächlich auf mich abgesehen hatte, wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass sein Trick nicht ganz funktioniert hatte, und dass er in all der Zeit, in der diese tief verborgene, halb tierische Regung in mir geschrien hatte: Du bist nicht allein!, wahrhaftig auf der Treppe gestanden haben musste, zu der er lautlos gehuscht war, so weit auf dem Weg nach unten angelangt, dass ich ihn nicht sehen konnte, regungslos verharrend in der Hoffnung, dass ich nicht ebenfalls die Treppe herunterkommen würde, die Schweißtropfen liefen ihm am Körper herunter, er atmete mit flachem Mund, um nicht gehört zu werden, und erst als er vernahm, dass ich in das Zimmer gegangen war, rannte er hinunter und aus der Haustür hinaus und floh.
    Ich hatte ihn schon in Aktion gesehen und wusste, dass er die katzenhafte Gewandtheit dazu besaß, sich genauso verhalten zu haben.
    Miechowita war in die Hände des treuen Säcklergehilfen geraten, und dieser hatte den Auftrag eines Herrn ausgeführt, von dem Friedrich von Rechberg vermutlich nicht einmal ahnte.
    Ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass mit dem Mörder Fryderyk Miechowitas auch der Mann aus dem Haus gerannt war, der Julius Avellino auf dem Gewissen hatte.
    Und da der Gehilfe wusste, dass seine Tat nun entdeckt war, würde er weiter fliehen; er würde zu seinem Auftraggeber laufen und um Geld bitten, und dann würde er aus seinem Logis beiFriedrich holen, was ihm gehörte, und wenn Friedrich dumme Fragen stellte, würde er ihn ebenso schnell vom Leben zum Tode befördern, wie er es mit Miechowita getan hatte.
    Wenn ich Friedrich warnen wollte – und wenn ich mit ihm zusammen auf die Schnelle einen Plan aushecken wollte, wie wir den Mann festsetzten konnten – dann bestand meine einzige Chance in der Schnelligkeit. Der Säcklergehilfe war nach rechts gerannt, zur Sankt-Anna-Kirche. Zur Vorstadtgasse und Friedrichs Logis ging es nach links. Ich war schon bei der niedrigen kleinen Tür, als der letzte Gedanke noch durch mein Gehirn flatterte, und rannte so schnell ich konnte die Treppe hinunter, immer zwei Stufen auf einmal nehmend und mehr hinunterfallend als -laufend. Ich nahm mir nicht einmal die Zeit, mich zu wundern, dass der von draußen hereingewehte Brandgeruch immer noch stark genug war, den Geruch des Todes aus Miechowitas kleiner Kammer zu überdecken.

    »Volk von Krakau!«
    Ich bog in die Weichselgasse ab. Es war ein Umweg auf dem Weg in die Vorstadtgasse, aber ich wollte vermeiden, über den Tuchmarkt zu laufen. Ich konnte weder Langnase sehen noch den Scheiterhaufen, nur den Funkenwirbel, der sich nach wie vor über dem Feuer in die Höhe schraubte. Alles andere wurde von den dicht gedrängten Leibern von Menschen verdeckt, die im Feuerschein nur schwarze Silhouetten waren. Das Volk von Krakau war doch aus seinen Häusern gekommen und säumte den Tuchmarkt dicht an dicht, eine schweigende Mauer, die offenbar verinnerlicht hatte, dass der Mann vor dem brüllenden Fegefeuer, zu dessen Unterstützung Gott das Unwetter heranzuschieben schien, nur den Juden ans Leben wollte und nicht ihnen. Ich hasste sie allesamt, als ich – bereits keuchend und mühsam Luft holend – die Weichselgasse hinunterrannte. Irgendeine Stimme sagte in mir: Wenn du vor Friedrichs Tor tot zusammenbrichst, ist keinem gedient; doch die Stimme war nicht laut genug, undsie klang außerdem, als sei sie selbst nicht ganz von ihren Worten überzeugt.
    »Volk von Krakau, nun ist die Stunde gekommen, die Handschuhe auszuziehen und stattdessen die Faust zu …« Langnases Stimme wurde abrupt abgeschnitten, als

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