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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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an. Es gab kaum etwas, das mich weniger interessierte.
    Joseph ben Lemel wies hinter sich, wo die Knechte mit dem verhüllten Körper auf der Bahre darauf warteten, dass sie den Sohn ihres Herrn das letzte Mal nach Hause bringen konnten.
    »Samuel war verschnitten«, sagte ben Lemel mit wankender Stimme. »Wir holten den mohel an Samuels achtem Lebenstag, wie es Brauch ist. Der mohel nimmt die Beschneidung vor. Eigentlich hätte mein Vater der sandek sein und den Jungen halten sollen, aber mein Vater war alt und zittrig, und ich traute ihm die Verantwortung nicht zu. Ich nahm die Aufgabe selbst auf mich. Als der mohel das Messer ansetzte, fing das Kind an zu schreien, und ich zuckte, gerade als der mohel den Schnitt tat.« Er seufzte. »Wir konnten vieles reparieren, aber Samuel war nie in der Lage, mit einer Frau zu verkehren oder Kinder zu zeugen.«
    »Es tut mir Leid«, sagte ich.
    »Und dennoch wollte Zofia ihn zum Mann«, sagte Joseph ben Lemel. »Verstehen Sie? Samuel hat sie nicht vergewaltigen wollen. Sie und er haben sich zurückgezogen in eines der Zimmer in Miechowitas Haus, um das zu tun, was sie schon mehrfach getan hatten – wozu Samuel in der Lage war. Zofia hattevor ihm keine Angst; sie wusste, dass er ihr niemals wehtun konnte.«
    »Wusste Laurenz Weigel über all das Bescheid?«
    »Über Samuels Leid – nein. Über ihre gegenseitige Zuneigung – ja.« Er wischte sich die Tränen ab. »Zofia war keine Jungfrau mehr, wissen Sie. Ich habe es nie erfahren, aber ich nehme an, dass jemand sich an ihr vergangen hat, als sie noch jünger war.«
    »Weigel selbst?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, da bin ich sicher. Aber Weigel hat schon damals einem Vergleich zugestimmt.« Ben Lemel rieb Zeigefinger und Daumen gegeneinander.
    »Woher wissen Sie das alles? Ich dachte, Samuel hat kaum mit Ihnen gesprochen?«
    Joseph ben Lemel drehte sich um. Zwischen den Knechten schritt die drahtige Gestalt von Veit Stoß hervor. Seine Augen waren vom Weinen gerötet. Er nickte mir zu. »Mein Sohn«, sagte er erstickt. »Auch ich habe heute einen Sohn verloren.«
    » Yehoshua «, sagte Joseph ben Lemel. » Halleluyah .«
    Er gab seinen Knechten ein Zeichen. Sie setzten sich in Bewegung. Veit Stoß stolperte in ihrer Mitte dahin. Auch sie schlugen den Weg zur Schustergasse ein, wo sie geradeaus weiter zur Judengasse gehen würden, in der die Flammen jetzt endgültig erstickt waren. Laurenz Weigel würde mit seiner Last zum Tuchmarkt hin abgebogen sein.
    Yehoshua. Halleluyah.
    Eine Hand legte sich auf meine Schulter wie ein schweres Gewicht.
    »Der Herr ist mein Retter«, sagte der Bass von Mojzesz Fiszel. »Gepriesen sei der Name des Herrn.«
    Ich fuhr herum.
    »Hier ist jemand, der dich sehen will«, sagte Mojzesz. Er drehte sich um und trat beiseite. Ein paar Schritte hinter ihm stand die zierliche Gestalt Paolos.
    »Was ist mit unserem Haus passiert?«, fragte er.
    Ich konnte mich nicht bewegen. Ich wusste nicht einmal, was ich fühlte. Paolos Haar war nass und seine Kleidung an den Schultern dunkel vom Regen, doch er schien vollkommen unversehrt. Ich merkte, wie mich die Kraft verließ und wie ich zu Boden sank, dann stellte ich fest, dass ich weiterhin aufrecht stand.
    »Ich war mit Onkel Mojzesz beim Herrn König«, sagte Paolo, als erzähle er ein Geheimnis. »Die Soldaten haben gesagt, ich darf mitkommen. Dann wollte ich wieder zurück zu Ihnen und Mutter, aber der Herr König sagte, dass er auf mich aufpassen müsse, so wie ich die ganze Zeit auf Onkel Mojzesz aufgepasst habe, und mich nicht weglassen könne, solange in der Stadt die Fantastischen herumlaufen.«
    »Die Fanatiker«, sagte Mojzesz.
    »Was?«, sagte ich. »Was?!«
    Wir standen immer noch in der gleichen Entfernung voneinander wie vorher, Paolo in der Ruine des Innenhofs, ich außerhalb. Ich war mir vage bewusst, dass der Stadtknecht und der Zunftmeister, die sich an der Mauer ausruhten und die Flasche gemeinsam leerten, mich beobachteten. Ich warf einen Blick zu Mojzesz, der grinste und zugleich wehmütig aussah. Seine Blicke irrten ab in Richtung Judenviertel.
    »Warum kommst du nicht herein, Peter?«, fragte er laut.
    »Peter? Ist Peter zurück?« Ich kannte die Stimme, aber ich hätte nicht gedacht, sie noch einmal in diesem Leben zu hören. »Gott sei Dank, Peter!«
    Jana kam um die Ecke gelaufen und fiel mir um den Hals. Ich war zu verwirrt, um auch nur ihre Umarmung zu erwidern. Sie drückte mich und weinte und lachte zugleich und schluchzte:

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