Der Sohn des Tuchhändlers
und die Menge tobte. Er hatte nicht abwarten können, bis er seinen besten Auftritt bekam; entweder hatte das Fieber in der Menge auch ihn dort oben erhitzt, oder er war überzeugt, dass er die Meute so oder so im Griff hatte. Er schüttelte die weiten Ärmel seines Habits zurück, bis seine Hände frei wurden, dann schob er langsam … o Auftritt eines Schmierenkomödianten … die Kapuze nach hinten.
» avellinoooooo …!«
Ein verdammter Narr begann zu klatschen, und das ließ den Funken gänzlich auf die Meute überspringen.
Ich wurde angerempelt und verlor fast den Halt. Jemand klammerte sich an mich und keuchte mir ins Ohr: »Meine Güte, Peter, ich dachte, ich finde dich hier nie … und Mojzesz …«
»Friedrich!«
»Ich war bei Jana … sie sagte mir, du seist mit Mojzesz davongelaufen wie der Teufel … ich dachte mir schon, dass er dich hierher gebracht hat …«
Friedrich von Rechberg sah zu Mojzesz Fiszel hoch, der wie die anderen zu dem Mönch auf dem Dach des Waagenhäuschens hinüberstarrte. Er fasste ihn am Oberarm. »Mein Gott, Mojzesz, und jetzt hetzt dieses Schwein seit heute Nachmittag gegen die Juden … was ist da eigentlich passiert? Ich hatte ja keine Ahnung, dass einer von euch …«
Avellino kreuzte die Arme vor der Brust und riss sie dann mit geballten Fäusten wieder auseinander, und die in der Nähe des Waagenhäuschens wichen zurück vor dieser Geste. Das Klatschen brandete auf und erstarb plötzlich, die Menge schrie und verschluckte sich und verstummte, und die einzelnen Ekstatischen, die immer noch »Gib uns die Wahrheit!« oder »Erleuchte uns!« oder »Avellino-Avellino!« krakeelten, merkten auf einmal, dass ihre Stimmen sich allein aus dem Schweigen erhoben und hielten den Mund. Avellino senkte den Kopf und verharrte in seiner Geste, bis die Stille über dem Platz zu knistern begann. Dann wandte er das Gesicht zum Himmel und spreizte die Finger weit.
»Volk von Krakau!«, schrie er. »Volk von Krakau!«
»Er hat dazugelernt«, knurrte ich zu niemandem im Besonderen. »Er spricht polnisch.«
»Volk von Krakau, höre mich. So spricht Gott der Herr: Ich will alle Sünder zusammenbringen und mit ihnen richten wegen meiner Kinder, denn sie haben sie unter die Knechte des Bösen zerstreut und sich in mein Land geteilt; sie haben das Los um mein Volk geworfen und haben Knaben für eine Hure hingegeben und Mädchen für Wein verkauft und vertrunken!«
»Der Prophet Joel«, sagte ich. »Der Mann bleibt seinen Quellen treu.«
»Volk von Krakau: Auf deinem Rücken treiben sie ihren widernatürlichenSchmutz, und über deine reinen Seelen wälzen sie ihre Gier. Ja, sieh her zu mir, Volk von Krakau, ich scheue mich nicht, auf die zu deuten, die ich meine!« Avellino wirbelte herum und deutete über die Köpfe der Menge hinweg in unsere Richtung, und ich konnte sehen, wie Mojzesz Fiszel vor Entsetzen schwankte. Friedrich von Rechberg und ich wechselten einen raschen Blick. Die Meute drehte die Köpfe herum, aber niemand zollte uns Aufmerksamkeit. Ihre Blicke folgten den beiden ausgestreckten Armen des Mönchs, die wie Spieße in Richtung Westen zeigten … dorthin, wo Janas und mein Haus lag … und …
»Die Juden«, zischte Friedrich. »Dieser gewissenlose Pfaffe. Genau wie heute Nachmittag.«
»Christusmörder!«, schrie jemand in der Nähe.
Ich versuchte ebenfalls dem Fingerzeig des Hetzpredigers zu folgen und wandte mich um. Es hätte mich nicht gewundert, wenn hinter den Häuserfassaden um den Marktplatz bereits Feuerschein aus den Gassen des Judenviertels geflackert wäre, aber der Blick dorthin wurde vom hoch aufragenden Rathausturm verstellt. Ich kniff die Augen zusammen und drehte mich wieder zu Avellino um.
»Ihr Sünder im Land meiner Kinder, mein Silber und Gold habt ihr genommen und meine schönen Kleinode in eure Kammern gebracht; aber der Herr sagt, ich will’s euch heimzahlen auf euren Kopf und will eure Häuser plündern und eure Söhne und Töchter verkaufen in die Fronarbeit, so wie ihr’s meinen Kindern zugedacht habt. So redet’s der Herr!«
»Wir müssen Mojzesz von hier wegbringen«, sagte Friedrich erregt und deutete auf den Bankier. Fiszel folgte dem Geschrei des Mönchs mit verzerrtem Gesicht. Tränen liefen aus seinen weit aufgerissenen Augen und über seine Wangen. Er wirkte, als habe er in seinem Entsetzen alles um sich herum vergessen. Seine Hände hingen schlaff an seinen Seiten herab und zuckten. Friedrich begann, sich nach hinten aus der
Weitere Kostenlose Bücher