Der Sohn des Tuchhändlers
Menge herauszuarbeiten und packte Mojzesz am Wams.
»Verderbt sind sie, die meinen Kindern seit Generationen an den Kehlen saugen!«, schrie Avellino. »Sünder sind sie, ihre Seelen sind schwarz vor Schlechtigkeit und ihre Herzen gelb vor Gier. Habe ich euch nicht offenbart, was sie in ihrer Zügellosigkeit zugelassen haben?«
»Schweine!«, brüllte jemand.
»Schänder!«
»Seht sie euch an, da hocken sie in der Finsternis ihrer Schandburg und glotzen herunter und zittern vor der Empörung der Gerechten!«
»Satansbuhlen!«
»Dreckspack!«
»Philister!«, tobte Avellino. »Nichts anderes sind sie, Philister, die sich zu Richtern über euch aufschwingen und selbst nichts als Sünde in ihren zerfressenen Leibern bergen! Treibt sie ins Tal Josafat, so wie der Herr die Verbrecher aus Tyros und Sidon ins Tal Josafat getrieben hat; richtet sie, so wie der Herr die Philister mit Hilfe der Heiden gerichtet hat; werft die Pflugscharen weg und greift zu den Sicheln, denn die Ernte ist nahe!«
»Die Ernte!«
»Schneidet das Geschwür heraus!«
»O Gott aller Gerechten«, hörte ich Mojzesz stöhnen, »sie treiben schon wieder die Wölfe gegen dein Volk …«
»Peter, worauf wartest du«, rief Friedrich und gab mir einen Stoß. »Warum willst du den armen Kerl in Gefahr bringen und uns dazu? Wir müssen ihn und seine Familie in den Wawel bringen, der König wird die Hand über seinen Bankier halten!«
»Warte«, sagte ich. Friedrich starrte mich an.
»Warte?«, japste er. »Worauf? Dass sie mit Zähnen und Klauen über uns herfallen?«
Ich folgte dem Fingerzeig des Mönchs, der immer noch beide Arme ausgestreckt hatte und in der gespannten Pose eines Mannes dastand, der soeben Blitze aus den Fingerspitzen geschleudert hat, aufs Neue. Der Blick auf die Häuser am Marktplatzwurde von einem Wald von geschüttelten Fäusten, Knüppeln, Sensen und hochgereckten Fackeln blockiert. Der Rathausturm schwebte finster und unnahbar darüber.
»Hier geht es um etwas anderes«, sagte ich langsam.
»Du weißt, was sie getan haben! Du weißt es, Volk von Krakau!«
»Avellino!«
Darauf hatten sie nur gewartet: »Avellino-Avellino- avellino !«
»Du weißt es!«
»Avellino!«
»Willst du die Namen hören, Volk von Krakau?«
»Gib uns die Namen, Bruder Avellino!«
»O Herr des heiligen Bundes, beschütze sie!«, schrie Mojzesz auf. Ein paar Zuschauer in der Nähe fuhren herum und gafften ihn an.
»Er ist ein Verwandter aus Warschau«, sagte Friedrich, grinste angestrengt in die misstrauischen Gesichter und funkelte mich gleichzeitig zornig an. »Da reden sie alle so.«
»Der Herr sagt, nennt mir die Sünder, und ich will sehen, dass ihnen Gerechtigkeit wird!«
»Der Herr sagt, wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein«, sagte ich. Friedrich packte mich am Arm und zischte mir ins Ohr: »Hilfst du mir jetzt, Mojzesz wegzubringen, oder hat der Schweinepriester dich auch auch schon verrückt gemacht?«
»Sie haben das Los geworfen und Mädchen für Wein verkauft und vertrunken!«, dröhnte Avellino. »Nennt mir die Sünder! Nennt mir die Sünder!«
»O Jossele, vergib mir«, schluchzte Mojzesz und schlug die Hände vors Gesicht.
Ich schüttelte den Kopf.
»Scheiße«, flüsterte Friedrich und ließ mich los. Er sah sich nach einem Ausweg aus der Menge um und umklammerte Mojzesz’ schlaffe Hand.
» weigel !«, heulte die Menge. »Laurenz weigeeell !«
Ich nickte.
»Nennt mir die Sünder!«, schrie Avellino. »Nennt ihre Namen!«
» Das hat er gemeint«, sagte ich zu Friedrich von Rechberg. Der Münzmeister stand mit offenem Mund da und starrte zum Waagenhäuschen nach vorn. Die Menge tobte. Wir wurden hinund hergestoßen. Mojzesz Fiszel war ein Fels in der Brandung, ohne es zu bemerken. »Er hat nicht auf das Judenviertel gedeutet. Auf die Juden kommt es ihm überhaupt nicht an.«
»Nennt mir die Namen!«, kreischte Avellino.
»Wierzig!«
»Vogelfeder!«
»Betmann!«
»Sie lassen ihre Kinder verderben und geben sie in die Hand der Schandknechte. Sie lassen ihre Töchter schwängern von denen, die der Herr ausgespien hat. Sie verunreinigen ihr eigen Fleisch und Blut und verhuren ihre Brut an das Gesindel!«
»Weigel!«
Die Glocke im Rathausturm begann plötzlich wild zu läuten, und die alte Gewohnheit ließ ein paar Menschen um uns herum aufschreien und herumwirbeln: »Feuer!« Aber ich wusste, dass es nicht brannte – jedenfalls keine Häuser. Der Rat jedoch hatte erkannt, dass er die Flammen in anderer
Weitere Kostenlose Bücher