Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
das auch nichts Schönes war, so war es doch besser als ein toter Avellino, den man mit durchschnittener Kehle aus der Weichsel gezogen hatte. Aber die Stimme des Sprechers war nicht die Avellinos, und seine Kleidung war auch kein Habit, sondern nur ein ausgefranster, um seinen Körper schlotternder Reisemantel und seine Kapuze lediglich die Gugel, die an den Mantel genäht war.
    »… ein angesehener Mann war ich, ich schwöre es«, rief der Sprecher. Er machte eine Pause, und ein Häuflein Bewundererunter den Zuhörern skandierte: »Ruiniert-ruiniert-ruiniert!« Der Rest stand zwar schweigend, aber die Leute liefen auch nicht auseinander oder bewarfen den Sprecher mit Steinen.
    Ich drückte mich am Rand der Menge vorbei. Freund Langnase dort oben hatte entweder die Gelegenheit als günstig empfunden, seine eigene Meinung zum Verlauf seines Lebensglücks zu präsentieren, während der Mob darauf wartete, dass ihr Gott Avellino endlich auftauchte; oder er hatte die Spannung nicht mehr ausgehalten, die die Warterei bescherte, und sich zum Vorredner des Mönchs aufgeschwungen. Einerlei, was es war, sicher war nur eines: Der Rat hatte immer noch nicht öffentlich bekannt gegeben, dass Avellino bereits in der Hölle war (im tiefsten Kreis, wenn es nach mir ging), und mit jeder Stunde, die er ratlos vertat, machte er die Lage schwieriger. Dass sich Avellinos Tod noch nicht als Gerücht herumgesprochen hatte, war ungewöhnlich – doch die Stadt war groß und die Kontakte zwischen den Bewohnern von Kazimierz und Krakau nicht so innig, dass es den Räten beider Städte, wenn sie zusammenhielten, nicht gelang, die Latrinenparolen bei ihrer Verbreitung zu hemmen.
    »Sie haben mich zugrunde gerichtet!«, rief Langnase. Offenbar war ihm bei all seinem Eifer für Avellino, den er gestern bei dem großen Auflauf aufs Neue bewiesen hatte, noch nicht aufgefallen, dass sein Idol seine Hetzpredigten gegen die deutsche Oberhoheit in der Stadt richtete und nicht gegen die …
    »Und jetzt sitzen sie in den feinen Häusern, von denen auch ich einst eines bewohnte; und sitzen dort im Rathausturm und feixen auf uns herab und suchen sich das nächste Opfer aus, um es ins Verderben zu treiben; und du kannst der nächste sein … oder du … oder du dort …«
    Ich blieb unwillkürlich stehen und starrte zu ihm hinauf.
    »Ins-Verderben-treiben!«, schrien Langnases Freunde. »Und-jetzt-seid-ihr-an-der-Reihe!«
    Er hatte schnell umgeschwenkt, der zerfledderte Kerl. Wahrscheinlichwar ohnehin nur eines wahr an seiner Geschichte: dass er Pleite gemacht hatte. Schuld war er vermutlich selbst …
    … Pech mit einer Tuchlieferung gehabt, hörte ich Jana plötzlich schluchzen.
    Ein großer geschäftlicher Verlust …
    Es konnte jederzeit passieren, und hinterher fragte man sich, ob es wirklich einfach nur Pech gewesen war … ob man wirklich so einen Fehler gemacht hatte … und was man jetzt tun sollte …
    Ich war wie betäubt aus dem Haus gegangen und zum Marktplatz. Die Wut, die ich angesichts der Vorwürfe Janas und Sabinas empfunden hatte, hatte meinen traurigen Abgang aus dem Saal nicht überlebt; oder zumindest hatte ich das gedacht. Tatsächlich … tatsächlich schwappte sie plötzlich so unsinnig und gewaltig in mir hoch, als ich die dürre Krähe dort oben ihre Lügen geifern hörte, dass ich fühlte, wie mein Magen sich zusammenballte und mein Kopf heiß wurde.
    »… und du bist auch nicht gefeit!«, schrie Langnase und zeigte ins Publikum. »Es kann jedem so ergehen wie mir, auf den sich ihre Gier richtet …!«
    Ich sah mir geradezu selbst dabei zu, wie ich mich umblickte, eines Haufens halb getrockneter Pferdeäpfel gewahr wurde, mich bückte und einen aufnahm. Ich stand am Rand der Menge, und alle hatten ihre Blicke dem Mann auf dem Dach der Kleinen Waage zugewandt, aber dennoch war es Wahnsinn.
    Sehr gut!
    Genau das Richtige in meiner Verfassung.
    Der ganze Tag war seit dem Morgengrauen ein einziger Wahnsinn gewesen.
    Ich bin schon immer ein leidlich guter Werfer gewesen. Goliath wäre nicht in Gefahr geraten, wäre ich David gewesen, aber für den Hausgebrauch reichte es … und Zorn verleiht einem genauso große Fähigkeiten wie Angst. Ich schleuderte den Rossapfel so hart, dass ich ihn halb in der Hand zerdrückte und derMist mir zwischen den Fingern klebte, aber das Ding flog wie ein Armbrustbolzen.
    »… darum will ich euch sagen, was ihr tun sollt …«
    Wäre es tatsächlich ein Armbrustbolzen gewesen, Langnase hätte

Weitere Kostenlose Bücher