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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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hätte man vernehmen können, wie eine Feder zu Boden fällt.
    Ich brach die Stille, indem ich die Arme ausbreitete und sagte: »Jana, ich hatte das alles von langer Hand geplant …« Ich hielt inne, als ich die Tränen in ihren Augen sah. Langsam begann sich ein Verdacht in meinem Hirn auszubreiten, der so ungeheuerlich war, dass mir schwindlig wurde.
    »Mit wem?«, sagte sie erstickt. »Mit Sebastian Löw? War das eine seiner guten Ideen?«
    »Jana, du glaubst doch nicht …«, begann ich.
    »Sebastian Löw?«, fragte Sabina. »Vaters Partner in Landshut?«
    Janas Augen flossen über. Sie ballte die Fäuste. »Dein Vater hat Pech mit einer Tuchlieferung gehabt«, schluchzte sie. »Ein großer geschäftlicher Verlust. Ich hätte mir die Haare ausgerauft … aber er … er blieb ganz gelassen …«
    »Nicht gelassen!«, rief ich. »Ich sagte, ich hätte wichtigere Dinge im Kopf, und außerdem …«
    »Etwas Wichtigeres als ein gravierender Verlust?«, sagte Sabina fassungslos.
    »Es gibt nicht nur das Geschäftemachen auf der Welt«, schnappte ich.
    »Nein, es gibt auch noch das Stehlen.«
    »Sabina! Was glaubst du eigentlich, wen du vor dir hast?«
    »Ich weiß, was ich bis jetzt geglaubt habe. Nun bin ich mir nicht mehr so sicher.«
    »Jana, gottverdammt, es ist alles ganz anders …!«
    »Fluch nur«, sagte sie, »das passt zu deiner Tat. Wann hast du den Ring genommen? Hast du das Geld schon nach Landshut geschickt?« Plötzlich fing sie an zu schreien: »Ich hätte dir den nötigen Betrag geschenkt , wenn du mich nur gefragt hättest! Tut es nach all den Jahren immer noch so weh, dass ich die Herrin dieses Hauses bin, dass du es nicht über dich gebracht hast, mich zu fragen ?«
    »Jana, du bist verrückt, wenn du glaubst, ich wäre fähig, dich zu bestehlen. Hör mir zu, dann erzähle ich dir, warum …«
    »Ich hätte auch nicht geglaubt, dass du es übers Herz bringst, deine Kinder hierher zu holen und sie dann einfach zu ignorieren vor lauter Angst, dass sich deine Wünsche doch nicht erfüllen könnten.«
    »Ich höre dich reden, aber ich glaube nicht, dass du es bist«, sagte ich.
    »Hast du dich deswegen auch mit Mojzesz überworfen? Wolltest du Geld von ihm leihen, und er hat es dir nicht gratis gegeben?«
    »Jetzt reicht’s«, sagte ich. »Deine Vorwürfe sind absurd. Wenn du mich ausreden lassen würdest, könnte ich dir erklären, was tatsächlich dahintersteckt. Aber du willst mich unbedingt als Bösewicht sehen! Warum? Mildert es dein eigenes schlechtes Gewissen wegen Fryderyk Miechowita ab?«
    Sie erblasste. Ich spürte, wie ein böses Grinsen mein Gesicht verzerrte, das ich nicht schnell genug wieder wegwischen konnte. »Soll ich dir verraten, was ich heute Morgen noch getan habe? Ich war bei ihm.«
    »Was hast du bei ihm gewollt?«
    »Da er ja als Gast bei uns aus- und eingeht, wollte ich ihm meine Aufwartung machen.«
    »Im Morgengrauen? Willst du mich auf den Arm nehmen?«
    »Wer weiß, zu welchen Zeiten er sich bei uns einfindet, wenn ich nicht da bin?«
    »Großer Gott«, sagte Sabina. »Dafür bin ich zwei Wochenunterwegs gewesen und habe meine Kinder in der Obhut meiner Schwägerin zurückgelassen!«
    Ich verstummte. Jana und Sabina sahen sich an. Ich sah nun auch in den Augen meiner Tochter Tränen glänzen. Was hatte ich getan? Es war noch nicht Mittag, und der Tag war schon vollkommen ruiniert.
    »Vielleicht habe ich was falsch verstanden«, sagte ich mit erzwungener Ruhe. »Sicher ist, dass du etwas falsch verstanden hast, Jana. Ich werde jetzt zum Meister Schlom gehen und meine Geschäfte dort erledigen. Danach bringe ich dir deinen Ring zurück – und ich hoffe, du lässt mich dann erklären, was ich wirklich vorhatte. Und du, Sabina: Dass du überhaupt hergekommen bist, beweist, dass du mir zumindest ein bisschen Vertrauen geschenkt hast. Hast du es schon wieder verloren, nur, weil eure Ankunft gestern schief gelaufen ist? Dann hättest du den langen Weg hierher tatsächlich nicht darauf gründen sollen.«
    Ich drehte mich um und verließ den Saal. Ich hatte erwartet, dass eine der beiden noch etwas sagen würde, aber sie schwiegen.

    Auf dem Dach der Kleinen Waage stand eine mit Mantel und Kapuze verhüllte Gestalt und schwang die Arme, während sie auf die Menge, die sich davor versammelt hatte, einredete. Einen Augenblick lang glaubte ich, die letzten Stunden nur geträumt zu haben (und wäre dankbar dafür gewesen): Da stand Julius Avellino und hetzte die Meute auf, und wenn

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