Der Sohn des Tuchhändlers
sein letztes Wort gekreischt gehabt. Ich sah den Rossapfel geradewegs in die Kapuze segeln und bildete mir ein, den Aufprall zu hören. Langnase taumelte zurück und warf die Arme nach oben. Die Menge zuckte zusammen. Langnase fing sich, bevor er vom hinteren Rand des Dachs fiel, fuhr sich mit beiden Händen ins Gesicht und begann zu krächzen, würgen und spucken.
» schweeeeiiiineee !!!«, schrie er, dass die Reste des Apfels aus der Kapuze hervorsprühten. Er sank auf die Knie und hustete und würgte erneut.
Die Menge fuhr herum, um nach dem Frevler zu suchen. Ich stand da, die Hände im Wams verborgen, und drehte mich um und suchte ebenfalls. Keiner da. Die Leute schossen ein paar misstrauische Blicke hin und her und verdächtigten sich gegenseitig, aber als Langnase weiterspuckte und »O Goooooott!« kreischte und sich mit den Händen an den Hals fuhr, verlagerte sich das Interesse wieder nach vorn. In meiner Nähe sah ich einen Mann grinsen und seinen Nachbarn anstoßen, der ebenfalls grinste. Ich fragte mich, wohin genau mein Rossapfel geflogen war, und wollte es gar nicht so exakt wissen. Ich empfand eine kindische Genugtuung, die sich noch steigerte, als die Menge auseinander lief und Langnase oben auf dem Dach mit seiner unfreiwilligen Zwischenmahlzeit allein ließ. Eine Gruppe marschierte in Richtung Vorstadtgasse, und ich schloss mich ihnen unauffällig an.
Ich machte mir nicht die Illusion, dass ich irgendetwas bewirkt hatte, außer meine Wut abreagiert zu haben. Als ich mich im Gehen umblickte, standen immer noch genügend Leute vor der Kleinen Waage und warteten treu auf den Mönch. Langnase war vom Dach verschwunden; entweder heruntergefallenoder erstickt oder zum nächsten Brunnen gestürzt, um sich den Mund auszuwaschen. Ein lauter werdendes Rufen ging durch die verbliebene Menge und artikulierte sich Zug um Zug: »Avellino … Avellino … Avellino …«
Nein, ich hatte nichts bewirkt. Aber die Leute bei Langnases Missgeschick grinsen und das Interesse verlieren und wieder ihren eigenen Aufgaben nachgehen zu sehen, hatte wenigstens gezeigt, dass nicht alle von den demagogischen Predigten verseucht waren. Zwei in einfache Kittel gekleidete Männer gingen dicht an mir vorbei, die Blicke in den Himmel gerichtet. »Wird ’n Unwetter geben«, hörte ich den einen murmeln. Der andere nickte. Ich folgte ihren Blicken unwillkürlich. Der Himmel sah immer noch ebenso unschuldig aus wie heute im Morgengrauen vor Mojzesz’ Haus.
»Falsch«, brummte ich, ohne dass sie mich hören konnten. »Es ist schon längst da.«
Das Eingangsportal, das zu Friedrich von Rechbergs Domizil bei der Sankt-Martins-Kirche führte, war einen Spaltbreit offen. Die Vorstadtgasse war ruhiger als der Marktplatz und die Gassen um ihn herum, und man durfte annehmen, dass dieser Teil der Stadt, in dem viele ausländische Gesandte untergebracht waren, im Notfall vor einem aufgehetzten Pöbel beschützt würde; dennoch erschien es mir für Friedrichs umsichtige Natur ungewöhnlich, dass er das Portal nicht wenigstens verschlossen hatte, wenn schon nicht verrammelt. Nach Südwesten ragte der dicht bebaute Wawelhügel scheinbar direkt hinter den Hausdächern in die Höhe, zum Greifen nah. Die Werkstatt Meister Schloms lag in der anderen Richtung, nur wenige Dutzend Schritte entfernt; noch weiter nordöstlich konnte ich die vorspringende Fassade von Veit Stoß’ Haus sehen. Ob der Bildschnitzer heute seiner Arbeit im Dom nachging oder lieber in seiner Werkstatt im Keller seines Hauses geblieben war? Und ob er zurechtkam ohne seinen genialen Gesellen Samuel? Tatsächlich interessierten michdie Antworten auf diese Fragen weniger als die, wie es nun mit Jana und mir und meinen Kindern weitergehen mochte. Schlom hatte mich darauf hingewiesen, dass er es für seine Pflicht gehalten habe, mich an die dringend benötigte Materiallieferung zu erinnern – scheinbar hatte sein Bote ihm schon mitgeteilt, dass sein Erscheinen zu größeren Unstimmigkeiten geführt hatte. Ich versuchte den Goldschmied zu beruhigen und konnte seinem verschlossenen Gesicht entnehmen, dass ich keinen Erfolg dabei hatte. Wie auch – ich selbst hätte jemanden nötig gehabt, der mich beruhigte. Wenn ich gewusst hätte, ob der vermaledeite Ring Jana zu groß oder zu klein war, hätte ich Schlom weitere Anweisungen geben können; so vertröstete ich ihn auf den kommenden Tag und erfuhr, dass dies die rechtzeitige Fertigstellung des Schmuckstücks in Frage stellen,
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