Der Sohn des Verräters - 21
dir all dieses lächerliche Zeug erzählt?“, fragte Rafaella ungeduldig. „Und wann hast du es gehört?“ Ein verwirrter Ausdruck trat in Illonas Miene. „Na, Leute wie Mathias halt. Was meinst du mit wann?“ „Hörst du diesen aufrührerischen Unsinn schon dein ganzes Leben lang oder erst seit kurzem?“ Domenic spürte Rafaellas Erstaunen über seine Frage, aber er achtete nicht darauf. Er war entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, und das Mädchen war dabei seine größte Chance. Er wollte den erzwungenen Rapport nicht anwenden, entdeckte aber zu seinem Entsetzen, dass er dazu bereit wäre, wenn es sein musste.
Sämtliche in Arilinn gelernten Ethiklektionen schrillten in seinem Kopf, und zum ersten Mal wurde ihm bewusst, wie gefährlich die Alton-Gabe bei jemandem sein konnte, der alle Überlegungen außer seinen eigenen Bedürfnissen beiseite ließ. Er hoffte, Illona würde ihm freiwillig die Wahrheit sagen.
Wer ist dieser Junge, und warum fragt er mich das? Irgendwas stimmt hier nicht, aber ich komme nicht dahinter, was. Er hat Recht – bis zu diesem Frühjahr habe ich nie ein Wort gegen die Hasturs gehört. Da waren wir oben in den Hellers, im Gebiet von Aldaran. Und von da an hat sich alles geändert, glaub ich. Was werden sie wohl mit mir machen?
Illona wirkte plötzlich unterwürfig. „Dieses Frühjahr habe ich es zum ersten Mal gehört.“ Warum erzähle ich ihm das überhaupt? Er schien so nett zu sein, und ich hab ihn gleich gemocht. Aber das ist noch lange kein Grund, mit ihm zu reden. Tante Loret hat dieses Stück nicht gefallen, und jetzt verstehe ich, warum. Ich wünschte, ich wäre woanders. Ich hab Angst.
„ Und dieser Mathias, der das Stück geschrieben hat, wie lange ist der schon bei euch?“ „Er ist dieses Frühjahr zu uns gekommen.“ Der Lärm aus dem Hof ebbte ab, obwohl man immer noch ein wenig Geschrei hörte. Man hörte auch das Krachen von Holz, und Domenic vermutete, dass die aufgebrachten Bewohner der Stadt die Wagen des Fahrenden Volks zertrümmerten. Einen Augenblick später sah er plötzlich Flammen über den Mauern in die Höhe lodern, die den Gasthof umgaben. Jemand hatte eine Fackel in einen der Wagen geworfen.
„Da bist du aber wirklich in eine üble Geschichte geraten, Illona.“ „So viel hab ich auch schon gemerkt“, erwiderte sie mit einem Anflug ihrer früheren Keckheit. Sie biss die Zähne zusammen, zwang sich, gerade zu stehen, und starrte Rafaella und Domenic böse an. Selbst bei der düsteren Beleuchtung konnte man erkennen, dass sie sehr blass war, und die Sommersprossen auf ihrer Nase hoben sich deutlich ab. Domenic bewunderte ihre Stärke, ihre Weigerung, völlig vor ihrer schrecklichen Angst zu kapitulieren. Er war sich nicht sicher, wie er sich in der gleichen Lage verhalten hätte.
„Du warst in schlechter Gesellschaft“, sagte Rafaella leise.
Sie hatte ihre Beherrschung wiedergewonnen und wirkte ernst und stark in der nächtlichen Düsternis, aber nicht mehr so bedrohlich wie eben noch.
Illona blickte trotzig zu Rafaella auf. „Ich habe nie etwas anderes als das Fahrende Volk gekannt, deshalb kann ich das nicht beurteilen. Meine Tante Loret meint, dass Mathias und ein paar von den anderen ein bisschen verrückt sind, aber ich habe nicht auf sie geachtet.“ Herm Aldaran tauchte plötzlich aus der Dunkelheit auf, sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten. „Ach, da seid ihr. Ich habe gesehen, wie du das Mädchen noch schnell in Sicherheit gebracht hast, und das war gut so! Die Wachtposten und unsere Freunde konnten alles unter Kontrolle bringen, aber die meisten Wagen sind nur noch Kleinholz.“ Er räusperte sich und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. „Es hat ein paar Tote gegeben … darunter deine Tante, Illona. Es tut mir Leid.“ Sie reagierte nicht sofort. Sie sah von einem zum anderen, dann traten Tränen in ihre Augen und begannen ihr über die schmutzigen Wangen zu rinnen. Illona gab kein Geräusch von sich, sie weinte nur lautlos vor sich hin und wurde immer kleiner in Domenics Umhang, als könnte sie zu einer Pfütze auf dem Boden zerfließen. Rafaella legte einen Arm um das Mädchen und zog es an sich.
Wer wurde noch getötet?
Sicher bin ich mir nur bei der Frau und dem Jongleur, der zur falschen Zeit am falschen Ort war. Die Menge hat getobt, und ich war froh über die Anwesenheit der Gardesoldaten, auch wenn ich fürchte, dass ihre Anonymität durch ihr Eingreifen zunichte gemacht ist. Es herrscht allerdings
Weitere Kostenlose Bücher