Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn des Wolfs

Der Sohn des Wolfs

Titel: Der Sohn des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
Vom Netzwerk:
Karawane zusammenzuhalten. Von »Elchkopf« und »Drei-Lachse«, die die Vorhut „ bildeten und den Weg bahnten, bis zu Kah-Chucte, Gowhee und Joe war es eine Meile. Jeder stolperte vorwärts, fiel nieder oder ruhte sich aus, wie es ihm paßte. Der Marsch war ein Vorwärtskommen mit einer Reihe unregelmäßiger Halte. Jeder benutzte die letzten Reste seiner Kräfte, um sich weiterzuschleppen, bis er nicht mehr konnte. Aber wie durch ein Wunder war immer noch ein kleiner Rest übrig. Jedesmal, wenn ein Mann fiel, hatte er die feste Überzeugung, daß er sich nicht mehr erheben könnte; und doch erhob er sich, erhob sich immer wieder. Der Körper unterlag, aber der Wille siegte; jeder Sieg aber war eine Tragödie.
    Der Indianer mit dem erfrorenen Fuß, der sich nicht mehr aufrecht halten konnte, kroch jetzt auf Händen und Knien. Er ruhte sich selten aus, denn er wußte, was das hieß. Selbst Frau Eppingwells Lippen waren in einem verzerrten Lächeln erstarrt, und ihre Augen standen offen, ohne etwas zu sehen. Oft blieb sie stehen und drückte, atemlos und schwindlig, die Hand gegen das Herz.
    Joe, der weiße Mann, litt nicht mehr. Er bettelte nicht mehr, daß man ihn liegen ließe, bat nicht mehr, sterben zu dürfen; er war ruhig und froh in einem schmerzlosen Wahnsinn. Kah-Chucte und Gowhee schleppten ihn brutal mit, blickten ihn wütend an und schlugen ihn. Für sie war dies der Gipfel der Ungerechtigkeit. Ihre Herzen waren voller Haß und nur durch die Furcht gezähmt. Warum mußten sie ihre Kräfte mit seiner Schwäche belasten? Es zu tun, bedeutete den Tod; es nicht zu tun – sie erinnerten sich Sitka Charleys Gesetz und seiner Büchse.
    Als das Tageslicht schwand, fiel Joe immer öfter, und so schwer war er wieder auf die Beine zu bringen, daß sie immer mehr zurückblieben. Zuweilen setzten sie sich alle in den Schnee. So schwach waren die Indianer jetzt. Und doch trugen sie Leben, Kraft und Wärme auf dem Rücken. In den Mehlsäcken war alles, was sie brauchten, um das Leben zu erhalten. Immer wieder mußten sie daran denken, und es war nicht merkwürdig, daß geschah, was geschah. Auf einem mächtigen, umgestürzten Baum mit Tausenden von Zweigen, die darauf warteten, als Brennholz benutzt zu werden, waren sie niedergesunken. In der Nähe war eine Lache auf dem Eise. Kah-Chucte sah auf das Brennholz und sah auf das Wasser, und dasselbe tat Gowhee; dann sahen sich beide an. Es wurde kein Wort gesprochen. Gowhee schlug Feuer, Kah-Chucte füllte einen Zinnbecher mit Wasser und setzte ihn aufs Feuer. Joe schwatzte drauflos in einer Sprache, die sie nicht verstanden. Sie verrührten Mehl in dem warmen Wasser, bis es zu einem dünnen Teig wurde, und tranken viele Becher davon. Joe boten sie nichts davon an, aber er machte sich auch nichts daraus. Er machte sich aus nichts etwas, nicht einmal aus seinen Mokassins, die angesengt wurden und qualmten.
    Feiner Schnee stäubte über sie, sanft, liebkosend, und hüllte sie in sein weiches, weißes Laken. Und doch hätten ihre Füße noch Menschenpfade beschritten, würde das Schicksal nicht die Wolken beiseite gefegt und die Luft gereinigt haben. Nein, zehn Minuten Aufschub hätten Rettung bedeutet. Sitka Charley blickte zurück, sah die Rauchsäule von ihrem Feuer und erriet, was geschehen war. Und er sah nach vorn auf die, die treu wären, und auf Frau Eppingwell.
    »Ihr habt also vergessen, daß ihr Männer seid, Kameraden? Schön. Ausgezeichnet. So brauchen wir weniger Mägen zu stopfen.«
    Sitka Charley band, während er sprach, den Mehlsack zu, warf ihn sich auf den Rücken und schnallte ihn fest. Er trat Joe, bis die Schmerzen die Glückseligkeit des armen Teufels durchdrangen, und er, schwankend und taumelnd, auf die Füße kam. Dann schleppte er ihn auf den Weg und setzte ihn in Bewegung. Die beiden Indianer versuchten zu entkommen.
    »Halt, Gowhee! Und auch du, Kah-Chucte! Hat das Mehl euren Beinen solche Kraft verliehen, daß sie vor dem schnellen Blei davonlaufen können? Denkt nicht daran, dem Gesetz zu entgehen. Zeigt euch ein letztes Mal als Männer und freut euch, daß ihr mit vollem Magen sterben könnt. Kommt, stellt euch Schulter an Schulter an den Baum!«
    Die beiden Männer gehorchten, ruhig, furchtlos; denn einen Mann erschreckt nur das Künftige, nicht das Gegenwärtige.
    »Du, Gowhee, hast Frau und Kinder und ein Zelt aus Tierfellen in Chippewyan. Wie bestimmst du darüber?«
    »Gib ihr, was der Kapitän mir versprochen hat – die Decken, die

Weitere Kostenlose Bücher