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Der Sohn des Wolfs

Der Sohn des Wolfs

Titel: Der Sohn des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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mitgenommen. Das scharfe Eis auf dem Flusse hatte sie zerschnitten. Ihre Siwash-Socken befanden sich in derselben Verfassung, und als sie aufgetaut und ausgezogen waren, erzählten die weißen, toten Zehen in ihren verschiedenen Abstufungen des Erfrierens ihre einfache Geschichte von der Reise.
    Sitka Charley überließ sie ihrer Fußpflege und schritt denselben Weg, den er gekommen war, zurück. Auch er sehnte sich danach, am Feuer zu sitzen und für seinen verkommenen Körper zu sorgen, aber die Ehre und das Gesetz der Reise verboten es ihm. Mühselig arbeitete er sich über den gefrorenen Fluß hinüber. Jeder Schritt mußte erzwungen werden, jeder Muskel empörte sich. An verschiedenen Stellen, die erst kürzlich zugefroren waren, mußte er mit Aufbietung aller seiner Kräfte über den morschen, unter ihm schaukelnden Boden eilen. Hier war der Tod leicht und schnell; aber er bekämpfte die Versuchung, seinem Leben ein Ende zu machen.
    Seine zunehmende Angst schwand, als er zwei Indianer um eine Biegung des Flusses kommen sah. Sie wankten und stöhnten wie Männer unter schweren Lasten, und doch wogen die Packen auf ihren Schultern nur wenige Pfund. Er forschte sie eifrig aus, und ihre Antworten schienen ihn zu beruhigen. Er eilte weiter. Dann kamen zwei weiße Männer, die eine Frau stützten. Auch sie gingen wie trunken, und ihre Körper zitterten vor Ermattung. Aber die Frau stützte sich nur leicht auf und wollte offenbar durch eigene Kraft vorwärts kommen. Bei ihrem Anblick huschte ein Freudenschimmer über Sitka Charleys Gesicht. Er verehrte Frau Eppingwell. Er hatte viele weiße Frauen gesehen, aber sie war die erste, die die Reise mit ihm machte. Als Kapitän Eppingwell ihm das Wagnis vorschlug und ihm anbot, in seine Dienste zu treten, hatte er ernst den Kopf geschüttelt; denn es war ein unbekannter Weg durch die trostlosen Wüsten des Nordlandes, und er wußte, daß es eine der Reisen werden würde, die die menschliche Seele auf die äußerste Probe stellen. Als er aber erfuhr, daß der Kapitän seine Gattin mitnehmen wollte, schlug er es rundweg ab, etwas mit der Sache zu tun zu haben. Wäre es noch eine Frau seiner eigenen Rasse gewesen, so hätte er sich nichts daraus gemacht. Aber diese Frauen aus dem Südlande, nein, nein, die waren zu weich, zu zart für ein solches Unternehmen.
    Sitka Charley kannte indessen nicht Frauen dieser Art. Vor fünf Minuten hätte er sich nicht träumen lassen, daß er die Leitung der Expedition übernehmen würde; als sie aber mit ihrem wundersamen Lächeln und ihrem klaren reinen Englisch kam und die Sache ohne Umschweife mit ihm erörterte, hatte er sofort eingewilligt. Hätte sich in ihren Augen ein Anflehen um Mitleid gezeigt, hätte ihre Stimme gezittert, hätte sie sich auf ihre weiblichen Rechte berufen – er wäre augenblicklich kalt und hart wie Stahl geworden. Aber ihre tiefen forschenden Augen, ihre klare Stimme, ihr völliger Freimut und die Art, wie sie ihn ohne weiteres als ihresgleichen behandelte, hatten ihm seine Kaltblütigkeit geraubt. Er fühlte, daß er es hier mit einer neuen Art von Weib zu tun hatte, und ehe sie viele Tagesreisen Genossen gewesen, hatte er verstanden, warum die Söhne solcher Frauen. Land und Meer beherrschten, und warum die Söhne von Frauen seiner eigenen Rasse ihnen nicht widerstehen konnten. Weich und zart! Tag auf Tag beobachtete er sie, ermattet, abgezehrt, unüberwindlich, wie sie war, immer wieder klangen ihm die Worte vor den Ohren: Weich und zart! Er wußte, daß ihre Füße für ebene Pfade und sonnige Länder geschaffen waren, daß sie nicht die Schmerzen des mokassinbekleideten Nordens, nicht die Küsse von den kalten Lippen des Frostes kannten, und er sah sie und wunderte sich, wie leicht sie durch den mühseligen Tag glitten.
    Immer fiel ein Lächeln, ein ermutigendes Wort selbst für den elendsten Träger ab. Je finsterer der Weg wurde, desto härter und kräftiger schien sie zu werden, und als Kah-Chucte und Gowhee, die damit geprahlt hatten, Weg und Steg wie ein Kind die Fellballen im Wigwam zu kennen, als die beiden gestanden, daß sie nicht wüßten, wo sie wären, da war sie es, die zu den Flüchen der Männer Worte der Verzeihung sprach. Sie hatte ihnen vorgesungen in jener Nacht, bis sie die Müdigkeit weichen fühlten und bereit waren, mit neuer Hoffnung der Zukunft entgegenzugehen. Und als die Lebensmittel auf die Neige gingen und jede Ration unter scharfer Kontrolle ausgeteilt wurde, hatte sie sich

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