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Der Sohn des Wolfs

Der Sohn des Wolfs

Titel: Der Sohn des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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ist versiegelt, Und gebrandmarkt ist er / der das Geheimnis nicht barg. Kommt einst Herward in Not / und ihn rettet die schwärzeste Lüge, Lüg, solange du kannst / und solange dich einer nur hört.‹«
    Vater Roubeau nahm die Pfeife aus dem Munde und überlegte. »Der Mann spricht die Wahrheit, aber das ist es nicht, was meine Seele beunruhigt. Die Lüge und die Strafe dafür stehen bei Gott; aber – aber – «
    »Was denn? Deine Hände sind rein.«
    »Nein, Kid. Ich habe viel darüber nachgedacht, und das eine bleibt. Ich wußte Bescheid und schickte sie doch zurück.«
    Das klare Singen eines Rotkehlchens ertönte vom bewaldeten Ufer, ein Rebhuhn rief in der Ferne, ein Elch stapfte lärmend in den Strom, aber die beiden Männer rauchten schweigend weiter.

 
Die Weisheit der Reise
     
     
     
    Sitka Charley hatte das Unmögliche erreicht. Andere Indianer mögen vielleicht ebensoviel von der Weisheit der Reise gekannt haben, er allein aber kannte die Weisheit des weißen Mannes, die Ehre und das Gesetz der Reise. Aber das hatte er nicht an einem einzigen Tage gelernt. Die Eingeborenen sind schwer zu belehren, und es gehören viele Einzelheiten und viele Wiederholungen dazu, bis sie zum Verständnis gelangt sind. Sitka Charley hatte von Kindheit an mit den weißen Männern verkehrt, und als er selbst ein Mann wurde, hatte er sein Schicksal an das ihre geknüpft und sich ein für allemal von seinem eigenen Volke losgesagt. Und obwohl er sich vor ihnen beugte, ja, ihre Macht fast verehrte und über sie grübelte, mußte er doch auch jetzt noch ihren geheimen Lebensquell, die Ehre und das Gesetz erraten. Und erst, nachdem die Jahre Zeugnis auf Zeugnis gehäuft hatten, verstand er sie. Obgleich er ein Fremder war, verstand er die weißen Männer besser als sie sich selbst; er war ein Indianer und hatte das Unmögliche erreicht.
    Und hieraus war eine gewisse Verachtung für sein eigenes Volk entstanden – eine Verachtung, die er aus Gewohnheit verhehlte, die aber jetzt in einem Strom von Flüchen und Schimpfworten in vielen Sprachen über die Köpfe Kah-Chuctes und Gowhees losbrach. Sie krochen vor ihm wie knurrende Wolfshunde, zu feige, um auf ihn loszugehen, zu wolfsartig, um nicht die Zähne zu fletschen. Sie waren nicht schön. Das war Sitka Charley übrigens auch nicht. Das Fleisch hatte nicht für ihre Gesichter gereicht; ihre vorstehenden Backenknochen waren von schrecklichen Narben gefurcht, die in der starken Kälte abwechselnd aufrissen und zufroren, während in ihren Augen eine von Verzweiflung und Hunger genährte Flamme unheimlich brannte. Auf Männer, über denen nicht Ehre und Gesetz waltet, kann man sich in einer solchen Lage nicht verlassen. Das wußte Sitka Charley, und deshalb hatte er sie vor zehn Tagen gezwungen, ihre Büchsen nebst der übrigen Lagerausrüstung zurückzulassen. Nur er und Kapitän Eppingwell hatten die ihren behalten.
    »Los, macht Feuer an«, kommandierte er, indem er die kostbare Streichholzschachtel sowie die dazu gehörenden Streifen trockener Birkenrinde hervorzog.
    Die beiden Indianer machten sich verdrossen daran, trockene Zweige und Reisig zu sammeln. Sie waren schwach und blieben oft, schwindlig vom Bücken, stehen oder wankten stöhnend zur Feuerstätte zurück, während ihre Knie wie Kastagnetten gegeneinanderschlugen. Jedesmal, wenn sie zurückkamen, ruhten sie sich einen Augenblick aus, als wären sie krank und todmüde. Zeitweise drückten ihre Augen den geduldigen Stoizismus des stummen Duldens aus; dann wieder schienen sie sich in wilden Schreien Luft machen zu wollen: »Ich, ich, ich will leben!« – dem Grundton alles Lebens.
    Ein leichter Wind wehte von Süden, biß in ihren Körper und trieb ihnen die Kälte in Gestalt von Feuernadeln durch Pelz und Fleisch bis ins Mark. Sobald das Feuer lustig brannte und einen feuchten Kreis rings im Schnee auftaute, zwang Sitka Charley daher seine widerwilligen Genossen, mit ihm eine Schutzwand zu errichten. Es war eine recht primitive Angelegenheit – eine Decke wurde in einem Winkel von ungefähr fünfundvierzig Grad an der Windseite vor dem Feuer aufgehängt, dadurch wurde der eisige Wind abgehalten und die Wärme auf die vor der Decke Zusammengekauerten zurückgeworfen. Dann wurde eine Schicht grüner Zweige auf dem Schnee ausgebreitet, damit ihre Körper nicht mit ihm in Berührung gerieten. Als das getan war, machten Kah-Chucte und Gowhee sich daran, ihre Füße zu pflegen. Die gefrorenen Mokassins waren arg

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