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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Durlacher
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leer war sein Blick noch nie.
    Ich schlucke alles Weitere runter und erwidere Koornstras Blick, wie es ein aufgeregtes, verzweifelt nach Antworten suchendes Verbrechensopfer tun würde – finde ich jedenfalls.
    Jacob fasst meine Hand.
    »Ich bin sehr müde«, sagt er. »Das ist ein bisschen viel auf einmal, davon muss ich mich erst erholen, fürchte ich. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel.«
    Wir vereinbaren noch etwas wegen unserer Sachen, dann gehen wir.
    153
     
    Meine Kleider von gestern Nacht hängen noch über einem Stuhl in unserem Schlafzimmer. Die Gürteltasche liegt neben meinem Bett. In meinem Arbeitszimmer taste ich unter die Schreibtischplatte. Das Klebeband gibt, dafür, dass ich es frisch angebracht hatte, sehr leicht nach. Wäre die Pistole nicht zwischen den Leisten verkeilt, hätte es sie sicher nicht gehalten. Ich wage sie fast nicht anzufassen – als handle es sich um ein lebendes Wesen mit eigenem Willen. Ein Frettchen. Eine Giftschlange.
    Der glatte Griff, der Lauf, der Abzug – der Gegenstand ist mir inzwischen so vertraut geworden. Wagner.
    Ich hole tief Luft und ziehe das Magazin heraus.
    Zähle die Patronen.
    Seit dem letzten Mal fehlen zwei.
    154
     
    Als ich nach unten komme, erwartet mich Mitch an der Treppe. Ich sehe ihn zum ersten Mal, seit wir von der Polizei zurück sind. Sein Gesicht ist todernst, die Muskeln über den Wangenknochen und dem Kinn sichtbar angespannt, seine Haut glänzt vor Kraft, seine Augen sind klar und hell. Er ist aus Licht gemacht, denke ich, und mich befällt ein unbestimmtes Gefühl des Unbehagens, das an Widerwillen grenzt. Mein Magen krampft sich zusammen.
    »Mama«, sagt er nur.
    »Mitch«, sage ich.
    Ich fixiere ihn, sehe seine Pupillen und erschrecke, wie groß sie sind. Ich schlucke und möchte etwas sagen, aber mir fehlen plötzlich die Worte.
    Jacob hat sich neben Mitch gestellt. Wir haben auf der Rückfahrt auch nicht viel geredet. Er streichelt meine Hand und berührt Mitch kurz an der Schulter. Ich kann sie gar nicht ansehen.
    Mir ist, als müsse ich ersticken. Ich ersticke in meinem eigenen Haus, ohne so recht zu wissen, warum. Mein Vergewaltiger ist tot, ein brutaler, widerwärtiger Mensch, der Tess, Jacob und mir viel Leid zugefügt hat und das auch vielleicht wieder getan hätte. Eine Gefahr. Ein Mensch, dem ich den Tod zutiefst gewünscht habe. Es rauscht in meinen Ohren, mir ist schlecht.
    155
     
    Jacob hat seinen Laptop auf den Schoß genommen und liest den Telegraaf online. Er sucht nach der Meldung vom Mord an Raaijmakers. Zu früh, es steht noch nichts darüber drin.
    »Jacob?«
    »Ja.«
    Jetzt sehen wir einander an – als säßen wir in Zügen, die in entgegengesetzte Richtungen fahren.
    Seine Augen verraten nichts, aber von der Schwäche von vorhin ist ihm nichts mehr anzumerken. Geradezu vital erhebt er sich und geht seiner Tochter entgegen, die zögernd das Zimmer betritt.
    »Was?«, fragt sie misstrauisch, als sie unsere Gesichter sieht. Als wollten wir sie zum x-ten Mal mit nutzlosen Neuigkeiten verführen.
    Jacob nimmt Tess’ beide Hände in seine Armschlinge und erzählt.
    Verunsichert, ungläubig blickt Tess zur Seite, zu Mitch.
    »Wer?«
    »Der Mann. Das Arschloch, das…«
    »Was wisst ihr darüber?«, schreit Tess.
    Mitch hat die Augen niedergeschlagen.
    »Ich hatte es doch versprochen!«, sagt er. »Oder?«
    Mit weit aufgerissenen Augen schaut sie von ihm zu mir. Wortlos.
    Ich nicke nur.
    Mitch und Tess verziehen sich nach oben.
    Ich gehe in mein Arbeitszimmer.
    156
     
    Ein weiteres Mal schnalle ich meine Gürteltasche um und ziehe meine Joggingschuhe an. So leise ich kann verlasse ich das Haus. Von gestern Nacht tun mir noch die Beine weh, und meine Hüften brennen, aber ich muss laufen.
    Es ist zu dieser Nachmittagszeit voll auf der Fähre über den Nordseekanal, Pendler, die von der Arbeit nach Hause wollen. Ich lege die Gürteltasche zwischen meine Füße, während ich, den Lärm der Schiffsschrauben ignorierend, die Aussicht bewundere – auf Stahlfabriken am Horizont, die große Wolken giftiger Dämpfe ausspeien. Mein Vater fehlt mir in diesem Moment ganz schrecklich, mir ist, als nähme ich noch einmal Abschied von ihm, als ich zusehe, wie das Wasser aufspritzt und sich sofort über seiner Beute schließt. Ein rascher Bissen, mehr ist es nicht.
    Für den unsichtbaren Zuschauer, den ich befürchte, tue ich kurz so, als wäre ich entsetzt über den versehentlichen Verlust einer kleinen schwarzen Tasche, der ich mit

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