Der Sohn (German Edition)
Schmuck. Meinen Laptop sehe ich nicht, aber unter einer Tasche finde ich die Schatulle mit Zewas Perlen. Zwei von meinen fünf Lederschächtelchen mit Ohrringen, Ketten und Ringen finde ich ebenfalls wieder, mein Babyarmband, ein paar kleine Gemälde, die Wertpapiere, eine goldene Plakette von Jacobs Großmutter, das Silberservice, vollzählig – ich kenne jedes einzelne Stück. Die Sammlung ist bei weitem nicht komplett, aber es sind alles Dinge, an denen ich hänge.
»Ist das Ihr Eigentum?«
Sprachlos gehen wir um den Tisch mit unseren alten Freunden herum. Außerhalb ihres sonstigen Rahmens haben sie etwas von lebendig gewordenem Spielzeug im Kinderfilm – ohne unsere Erlaubnis stiften gegangen, unartige und nun verschreckte, kleinlaute Zöglinge. Unsere Zöglinge. Die Welt ist wieder ein ganz kleines bisschen in Ordnung gebracht, jetzt, da diese Ausreißer gefunden sind. Genugtuung. Das Verrückte: Jetzt fehlen mir die Dinge, die nicht dabei sind, plötzlich viel mehr als vorher.
Die alte silberne Menora. Jacobs Armbanduhr.
Als Einbrecher sei Anton R. nicht polizeibekannt, erfahren wir weiter. Auch nicht als Vergewaltiger. Aber sein Name tauche im Zusammenhang mit einer neonazistischen Gruppe auf, die sich »Blood and Honour« nenne. Wahrscheinlich sei er in einige Erpressungs- und Drogendelikte verwickelt. Aus Mangel an Beweisen habe man ihn aber nie dingfest machen können. Man observiere jedoch seit geraumer Zeit ein Sportcenter in Nord, wo sich Mitglieder dieser Gruppe hin und wieder träfen. Auch der andere Verdächtige in unserem Fall, David Vandijck, trainiere dort, ohne freilich Mitglied dieser Neonazigruppe zu sein. Er sei im Übrigen ein früherer Angestellter von R., wie man inzwischen herausgefunden habe. Dass Raaijmakers’ Betrieb, das Bauunternehmen seines Vaters, seit einem halben Jahr pleite ist, haben sie auch in diesen wenigen Stunden ermittelt.
Vorbeugend sage ich von mir aus, mit heiserer Stimme und der Fassungslosigkeit und Geschocktheit, die in einem solchen Fall angemessen erscheinen: dass mein Vater mehr als sechs Jahre lang gegen einen Bauunternehmer namens Anton Raaijmakers prozessiert habe. Und dass mein Vater den Prozess vor einem halben Jahr gewonnen habe.
(Dass mein Vater zwei Wochen später auf fatale Weise zu Fall kam, muss ich ja nicht notgedrungenermaßen hinzufügen. Ich kann nichts beweisen, und wem wäre schon damit gedient, wenn man hier erführe, dass es in unserer Familie jede Menge Motive gab, diesen Raaijmakers ein für alle Mal aus dem Weg zu räumen.)
Ah, das sei interessant, das habe man nicht gewusst, wird gesagt. Gebe es sonst noch etwas Besonderes? Habe dieser Herr je Ärger gemacht?
Ich verneine.
152
Und dann kommt der dritte Mann zur Sprache. Noch bevor wir uns verplappern können, wird seine Existenz als Fakt präsentiert. Für uns ist Raaijmakers der (immer verschwiegene) Dritte, für die Polizei ist es der Stämmige, der mit in unserem Schlafzimmer stand.
Koornstra erzählt. Zwei seien bei uns gewesen, der Dritte im Dachgeschoss und draußen. Mit beträchtlicher Geistesgegenwart frage ich, wie sie denn herausgefunden hätten, dass es noch einen dritten Täter gebe.
Der zweite Schuss auf Jacob sei aus einer anderen Pistole abgefeuert worden, erzählt Koornstra, und zwar von der Auffahrt her, durch das Dielenfenster. In dem Moment seien zwei Männer im Haus gewesen. Der eine habe die Beute zusammengerafft, der andere habe Jacob in Schach gehalten.
»Mit diesem zweiten Schuss sollten Sie aller Wahrscheinlichkeit nach getötet werden«, sagt Koornstra.
Über die Umstände von Raaijmakers’ Tod will er sich offensichtlich nicht gern auslassen. Ein paar Details kann er sich dann aber doch nicht verkneifen.
»Niemand hat etwas gehört oder gesehen. Raaijmakers selbst war auch bewaffnet, aber wir nehmen an, dass er nicht die Zeit bekam, die Waffe zu benutzen. Der Täter war zweifelsfrei ein Profi. Keine Patronenhülsen, keine Fingerabdrücke oder sonstigen Spuren. Der offizielle Bericht liegt noch nicht vor, aber wahrscheinlich ist es gegen drei Uhr heute Nacht passiert. Die Tür war nicht aufgebrochen. Wer geht denn nachts um drei an die Tür?«
»Wenn er selbst eine Pistole hatte, fühlte er sich vielleicht sicher«, werfe ich ein. »Oder aber er hatte Angst, weil er das ganze Diebesgut im Haus hatte. Vielleicht ist er deswegen an die Tür gegangen.«
Wirft mir Koornstra einen aufmerksamen Blick zu? Jacobs Augen verraten jedenfalls nichts, so
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