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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Durlacher
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komme!«
    Niemand hatte mich gerufen, aber ich wollte, dass sie mich hörten, hörten, dass ich zu ihnen kam, dass ich existierte. Ich ließ die Mappe in meiner Tasche verschwinden und ging möglichst geräuschvoll nach unten.
    »Was hast du denn in Hermans Zimmer gemacht, Schatz?«, fragte Iezebel sofort, als ich eintrat.
    54
     
    Gerade als wir uns an den Tisch setzen wollten, rief Dieter von Felsenrath, der Archivar aus Baden-Baden an. Er habe die Briefe von meiner Großmutter nirgendwo mehr auftreiben können.
    »Ach, wie schade«, entgegnete ich abwesend, denn ich hatte gehofft, es wäre Mitch.
    Felsenrath war reichlich langatmig. Und am Ende sagte er noch, er hoffe, ich würde die Originale vielleicht finden und sie ihm dann zurückschicken. Ein abwegiger Gedanke, fand ich. Und das ließ ich auch durchblicken. Die Deutschen immer mit ihrer Überkorrektheit.
    »Was war denn?«, wollte Tess wissen.
    »Nichts Besonderes«, wimmelte ich ab.
    Iezebel starrte mich an. »Saar?«, sagte sie mit strenger Miene. »Worum ging es da gerade? Was für Briefe?«
    »Das ist was für die Zeitung, Mam, nichts Besonderes.«
    »Habe ich dich nicht ›von meiner Familie‹ sagen hören? Dann ist das doch wohl nicht für die Zeitung, oder? Herman hat mal von Briefen gesprochen, was weißt du darüber? Und warum hat Dieter von Felsenrath mir gegenüber nichts davon gesagt?«
    »Wir haben uns bei dem Abendessen in Baden-Baden über das Archiv unterhalten, Mam. Da hat er Briefe erwähnt. Ich hätte es dir natürlich erzählen können, aber ich wollte dich nicht unnötig aufregen. Es gab tatsächlich Briefe von Papas Familie, Mam, aber sie sind unauffindbar. Also was soll’s? Was bringt es uns, zu wissen, dass es Briefe gegeben hat? Jetzt sind sie weg. Vielleicht sogar geklaut.«
    »Geklaut?«
    »Quatsch«, sagte ich seufzend. »Papa muss sie mitgenommen haben, wer sonst? Du wirst bestimmt darauf stoßen, wenn du das Chaos da oben aufräumst.«
    »O Gott«, sagte Iezebel nervös. »Mir graut davor. Ich wollte es eigentlich noch ein Weilchen hinausschieben. Aber jetzt… Vielleicht sollte ich es dann mal in Angriff nehmen, hm? Herrje.«
    »Ich kann dir das gerne abnehmen«, sagte ich schnell. »Kein Problem.«
    »Kommt gar nicht in Frage!«, widersprach Iezebel. »Das ist meine Aufgabe.«
    »Es geht mich genauso viel an wie dich, Mam, das weißt du.«
    »Das mag sein, aber ich möchte absolut nicht, dass du es machst. Wenn ich mich vergewissert habe, was in den Schubladen ist, gebe ich dir Bescheid. Aber zuerst möchte ich alles durchgehen. Ich hoffe, du respektierst das.«
    »Wie du willst, wie du willst. Ich wollte nur helfen.«
    »Ja, aber du hast auch Dinge verschwiegen, gib’s ruhig zu. Das gefällt mir gar nicht, Saar.«
    »Neihein!«, rief ich. »Ich verschweige nichts! Hör auf! Red nicht so einen Mist!«
    Sofort trat eine lastende Stille ein. Die Augen meiner Mutter füllten sich mit Tränen. Tess, die gerade den Löffel zum Mund geführt hatte, warf mir einen bösen Blick zu und legte den Löffel wieder hin. Ich starrte mit brennenden Augen auf den Tisch. Keiner rührte sich.
    »Nicht doch, Mam«, murmelte ich.
    Iezebel schluchzte laut auf. »Ich bin so furchtbar allein! Und ich möchte so gern alles richtig machen!«
    »Natürlich, Mam«, murmelte ich tröstend. »Das tust du doch auch. Aber warum musst du denn unbedingt alles richtig machen? Und was ist so schlimm daran, dass ich dir helfen möchte?«
    »Herman war mein Mann! Das scheint ihr gelegentlich zu vergessen. Er war mein Mann. Ich habe meinen Mann verloren!«
    »Ja, das weiß ich«, rief ich. »Das ist furchtbar. Aber ich habe meinen Vater verloren! Das ist doch auch schlimm!«
    Es tat mir auf der Stelle leid. »Okay, entschuldige.«
    »Ich möchte einfach das Zimmer durchgehen, Zentimeter für Zentimeter. Das ist mein Projekt, meine Aufgabe. Ich möchte Herman Stück für Stück ablegen. Das darf ich doch wohl! Dafür muss ich doch wohl nicht eure Zustimmung einholen, oder?«, fragte meine Mutter.
    »Mensch, Mama, das sagt doch auch keiner!«
    55
     
    Am Morgen unserer Abreise nach San Francisco, Anfang Februar, zerbrach eine alte Vase, die ursprünglich im Zimmer meines Vaters gestanden hatte, ohne mein Zutun, ich hatte sie nur umstellen wollen. Und vor der Garage lag ein toter Vogel. Alles Zeichen, weitere Zeichen, dachte ich. Überall sah ich Unheil.
    Vor langer Zeit hatte ich einer Grundschullehrerin von Mitch einmal erklärt, dass es schwer für ihn sei, mit

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