Der Sohn (German Edition)
sah.
Ich erwiderte nichts. Das Bett wirkte klein, als er sich neben mich legte. Ich schob ihn weg.
»Du! Du nimmst immer so viel Raum ein!«, sagte ich. »Du frisst mich auf. Du nimmst mir meinen Sohn weg. Du nimmst mir alles weg. Und du schnarchst.«
Er rückte ein wenig beiseite. Da er mich kannte, konzentrierte er sich auf das Wesentliche.
»Wie kannst du so etwas sagen?«, erwiderte er, scheinbar überhaupt nicht beeindruckt von meinem bitteren Ton. »Es war nicht meine Idee, es war Mitchs Idee, verwechsle das bitte nicht. Ich nehme dir nichts weg. Ich habe nur im Unterschied zu dir Vertrauen. Er wird beschützt, ich weiß einfach, dass er beschützt wird.«
Ich zog die Brauen hoch. Das klang unerwartet fromm.
»Von wem denn, bitte schön?«
»Unglaublich, dass du das fragst«, sagte er.
Meine Verkrampftheit löste sich. Ich fühlte, wie sich seine Hand auf die meine legte, fast unmerklich. Und ehe ich michs versah, hatte ich seinen Händedruck erwidert. In der nächsten Sekunde warf ich mich auf ihn, und wir umschlangen einander, als müssten wir uns gegenseitig vor dem Ertrinken retten. Als müssten sich unsere Münder und Leiber zu genau diesem Zeitpunkt vereinen, damit wir noch eine Chance hatten. Ich bekam fast keine Luft, so sehr klammerten wir uns aneinander fest. Über DAS TIER zu sprechen, war mir unmöglich, aber wenn ich mich mit aller Kraft, die in mir steckte, an Jacob drückte und er sich an mich, dann konnten wir vielleicht mit vereinten Kräften alles Leben aus DEM TIER, diesem verborgenen Dritten, der sich zwischen uns geschoben hatte, herauspressen.
Ich legte die Wange an Jacobs Wange, und widerstrebend lösten wir uns voneinander.
Jacob war genauso verdattert wie ich, glaube ich. Erleichtert stellte ich fest, dass ich mich diesmal wenigstens nicht überwältigt gefühlt hatte.
»Saar«, sagte Jacob, »wir schaffen das. Wirklich, du kannst das, du bist so viel stärker, als du denkst.«
Ich umarmte ihn noch einmal fest – Einbildungskraft ist alles.
52
»Und? Hast du ihn überzeugt? Geht Mitch nicht zur Army ?«
Das war Tess’ Reaktion auf meine relativ gefasste Miene, als ich vor dem Haus meiner Mutter aus dem Taxi stieg. Tess hatte bei ihr übernachtet.
Iezebel stand mit bangem, forschendem Blick am Fenster. Ich schüttelte fast unmerklich den Kopf, und sofort verschwand Iezebels Gesicht hinter einem großen Taschentuch.
Auch Tess bekam ein Kopfschütteln von mir zur Antwort, aber ich bemühte mich, es aufgeräumt aussehen zu lassen.
»Ich weiß es nicht, Liebes. Ich fürchte doch. Dein Bruder ist fest entschlossen. Er wird auf jeden Fall in zwei Monaten ins Boot Camp gehen, wo er erst mal unter Beweis stellen muss, ob er überhaupt geeignet ist. Wir können nichts machen, Tessje. Es ist Mitchs Entscheidung, Mitchs Leben. Er ist volljährig, und er ist nun mal der Meinung, dass es das Beste und Sinnvollste ist, was er machen kann. Dein Bruder ist sehr tapfer. Sehr tapfer und lieb. Er braucht jetzt deine Unterstützung, fürchte ich.«
Tess drehte sich um und rannte nach oben. Ich hörte, wie eine Tür zuschlug.
Iezebel umarmte mich, und für einen Moment ließ ich es zu. Die Illusion, selbst wieder Kind zu sein und mich von meiner Mutter trösten lassen zu können, war verführerisch, hielt aber nur kurz an. Ich war hier die Mutter, Mitchs Mutter. Das Leid konnte ich nicht abwälzen.
Schwerfällig humpelte ich ins Haus.
»Ich bleibe nicht lange, Mama, ich bin total kaputt.«
Ich wusste, wie falsch es war, dass ich das so barsch sagte. Dafür war meine Mutter viel zu verletzlich.
»Tess, kommst du?«, rief ich laut und drängend nach oben.
Aber Tess wollte nicht mit.
Ich ging zu ihr hinauf.
»Wir können nichts daran ändern, Tess. Wir sollten stolz auf ihn sein.«
Aber Tess hörte nicht auf zu weinen.
Ich setzte mich zu ihr, bis sie vor lauter Erschöpfung einschlief. Da gab ich dann auch selbst meiner Müdigkeit nach der langen Reise nach – so deprimierend ich es auch fand, in dem Haus zu schlafen, in dem ich mich früher, vor langer Zeit, einmal so sicher und geborgen gefühlt hatte, wo aber das Quietschen des Klappbetts, in dem ich lag, das Knarren von Türen und Treppe und das Rauschen in der Wasserleitung, all die bekannten Geräusche, die ich nie bewusst bemerkt hatte, jetzt so nervtötend und unheilverkündend waren.
53
Das Gästezimmer grenzte an das Zimmer meines Vaters. Dessen Tür stand offen. Meine Mutter hatte irgendwelche
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