Der Sokrates-Club
auch wirklich existiert, nicht wahr? Ich möchte euch eine andere Frage stellen: Kennt ihr das? Ihr habt eigentlich Lust, etwas zu machen, aber dann haltet ihr euch zurück, weil ihr eigentlich ein anderes Ziel verfolgt?
» Ich will einen Hund haben«, sagt Juliette, » aber die Mama hat gesagt, dass ich erst ganz vernünftig sein muss, und jetzt bin ich immer ganz toll gehorsam und schlage meine kleine Schwester nicht mehr.« (Mehr wissen)
» Ich würde auch manchmal gerne meine kleine Schwester zurückschlagen, weil die mich immer schlägt. Aber das mach ich dann nicht.«
» Meine kleine Schwester macht auch viel Unsinn«, sagt Juliette. » Sie will immer bestimmen. Mama hat gesagt, dass sie sich jetzt › behaupten‹ will.«
» Quatsch«, bemerkt Michael, » die ist nur nicht gut erzogen.«
» Also, ich will auch nicht immer alles, was die Mama will. Das ist doch mein Leben.«
» Ja, genau«, mischt sich David jetzt ein. » Wir können auch mal was entscheiden.«
Glaubt ihr, es wäre möglich, dass ein Mensch sich entscheiden kann, jeden Tag ein anderer zu sein? Einmal ein mutiger Superman, am nächsten Tag ein ängstlicher Bäcker, dann ein strenger Lehrer?
» Nur im Fasching!«, sagt David. » Aber das wird dann teuer mit den Kostümen und so.«
» Ich mag lieber nur eine Rolle haben. Oder vielleicht zwei«, sagt Lilly.
» Also Lady Gaga, die ist immer anders. Immer neue Haare und immer andere Kleider!«, erzählt Michael und lächelt versonnen.
» Du bist ja verliebt!«, sagt Lilly zu Michael, der ein bisschen rot wird.
» Aber die ist ja nicht echt, also ich meine, sie spielt ja nur, oder?«, fragt Juliette. » Ich glaube, man kann sich nicht so ändern, ich meine einen Tag so sein und am anderen anders.«
Glaubt ihr, ein böser Mensch kann sich entscheiden, ab heute ein guter zu sein?
Die Kinder denken nach.
» Ich glaube, manche Menschen sind so böse, die wollen überhaupt nicht lieb sein!«, sagt Michael und schüttelt ernst den Kopf.
» Ich glaube, wenn er wirklich will, also wenn er verstanden hat, dass es nicht gut ist, ein böser Mensch zu sein, dann kann er sich schon ändern«, sagt Paul. (Mehr wissen)
» Ich glaube auch«, sagt Juliette. » Aber er muss schon verstehen, dass es nicht richtig ist, böse zu sein.«
» Genau«, sagt Paul, » sonst ändert er sich nämlich nicht und raubt immer weiter Banken aus.«
» Ich hab mal von einem Bankräuber gehört, der immer auf einem Fahrrad geflüchtet ist und das Geld in Plastiktüten gepackt hat. Irgendwann hat man ihn dann in einer Wohnung gefasst, in der lauter goldene Engelchen von der Decke hingen«, sagt Paul.
Die Kinder lachen, und dann ist die Stunde auch schon um. Juliette teilt Schokoladenherzen aus, die wir für die Kinder gekauft haben. Michael springt auf und sagt, er sei jetzt Polizist. Lilly verdreht die Augen und meint, die Jungs wollten immer nur Polizisten sein, das fände sie doof. Juliette geht mit Paul ans Klavier, und David und Lilly streiten sich noch eine Zeit lang darüber, ob David Fußballspieler beim FC Bayern werden kann.
Identität
In der Philosophie gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen zu der Frage, was die Identität einer Person eigentlich ausmacht. Dabei lassen sich zwei Grundpositionen unterscheiden. Die erste wird von uns die absolutistische Position genannt, die zweite können wir als gradualistisch bezeichnen.
»Man hat doch immer die gleiche Seele, oder nicht? Ich meine in einem drin, da ist doch was, was immer gleich bleibt, oder?«
Die absolutistische Position
Diese Position wird von meiner jüngeren Schwester Martine Nida-Rümelin vertreten. Demnach lässt sich die Identität der Person nicht an ihren Eigenschaften festmachen. Es gibt jemanden, der etwas empfindet, sich ein Urteil bildet, Wünsche und Emotionen hat. Was immer sich an diesen ändert, solange die Person lebt, ist sie es, die diese Wünsche, Urteile, Emotionen hat. Die Person darf nicht identifiziert werden mit einzelnen Eigenschaften, die sie aufweist. Ihre Wünsche kommen und gehen, ihre Urteile verändern sich, auch ihre Emotionen. Unabhängig davon, wie stark diese Veränderungen sind, sie geben für sich genommen keinen Grund, an der Identität der Person, die sich über diese Veränderungen hinweg hält, zu zweifeln.
» Also ich bin jetzt schon anders … Ich kann jetzt die Uhr lesen, meinen Namen schreiben, und manchmal darf ich sogar Cola trinken.«
Die gradualistische Position
Für die gradualistische
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