Der Sokrates-Club
ist.
»Also ich, ich bin alles, was ich mir wünsche.«
Die humeanische Position
Besonders in der analytischen Philosophie ist die Auffassung verbreitet, dass es in erster Linie zwei Einstellungen sind, die das Leben einer Person bestimmen: Wünsche und Überzeugungen– desire und belief. Da sich Vertreter dieser Position häufig auf den schottischen Philosophen David Hume berufen, wird diese Theorie im Englischen oft auch als humean bezeichnet. Welche Handlung rational und welche irrational ist, wird im Rahmen dieser Theorie ebenfalls beantwortet, indem man sich auf die Wünsche und Überzeugungen der betreffenden Person bezieht. Rational ist eine Handlung, wenn sie die Wünsche der betreffenden Person besser erfüllt als jede andere Handlung, unter der Voraussetzung, dass die Überzeugungen der Person zutreffend sind.
Das Problem dieser Theorie ist, dass Wünsche und Überzeugungen sich im Laufe der Zeit ändern, ja, dass sich diese nicht nur über Jahre, sondern über Tage, Stunden, ja Minuten oft sehr deutlich verändern. Viele unserer Wünsche sind auf die Befriedigung bestimmter Augenblicksbedürfnisse gerichtet, und sobald diese Bedürfnisse befriedigt sind, verschwinden die entsprechenden Wünsche.
Wenn die Wünsche das Charakteristikum einer Person sind, dann stellt sich die Frage, wie wir deren anhaltende Existenz über längere Zeiträume hinweg verstehen sollen. Man könnte zum Beispiel auch den Standpunkt einnehmen, es seien nicht die jeweils aktuellen Wünsche, sondern die Neigungen, die Dispositionen, in bestimmten Situationen bestimmte Wünsche zu haben. So sind manche vielleicht in ihren konkreten Wünschen stark von dem grundlegenderen Wunsch beseelt, Karriere zu machen, Anerkennung der Mitmenschen zu gewinnen oder viel Zeit für Freundschaften und Freizeitaktivitäten zu haben etc.
In der Tat werden wir solche grundlegenden Wünsche, die die konkreten Wünsche des Augenblicks im hohen Maße bestimmen, zu den Charaktermerkmalen einer Person zählen. Es geht dann also nicht um die konkreten Wünsche, die wir in einem spezifischen Augenblick haben, also um aktuale Wünsche, sondern um grundlegende Wünsche, die das Verhalten der Person über längere Zeiträume hinweg bestimmen.
»Ich will einen Hund haben , aber die Mama hat gesagt, dass ich erst ganz vernünftig sein muss …«
Die kantianische Position
Zwischen Gründen und Wünschen besteht ein Zusammenhang. Manche Wünsche können andere Wünsche begründen. Es gibt daher eine andere Tradition, die man im Weitesten als kantianisch bezeichnen kann, da Immanuel Kant der bedeutendste Philosoph ist, der moralische Handlungsgründe von Neigungen und Wünschen abkoppelte. Für ihn ist es die Achtung vor dem Sittengesetz, die moralisches Handeln motiviert. Es sind nicht die eigenen Bedürfnisse, die Neigungen des Augenblicks, ja nicht einmal mein Streben nach Glückseligkeit, sondern es ist allein der gute Wille, sich als Vernunftwesen zu verhalten, der sein Handeln bestimmt.
Der Preis dieser Auffassung ist allerdings eine strikte Trennung zwischen moralischen und außermoralischen Motiven. Das jeweilige Individuum ist als Vernunftwesen allein durch moralische Motive bestimmt, als Naturwesen Mensch hingegen unter anderem durch sein Streben nach Glückseligkeit. Diese Zwei-Welten-Lehre unterscheidet sodann zwischen Freiheitsgesetzen, denen der Mensch, sofern er sich von seiner Vernunftbegabung leiten lässt, folgt, und Naturgesetzen, die der Mensch befolgt, sofern er seine eigene Glückseligkeit optimiert.
Gründe, die uns zu einer Handlung veranlassen, beruhen auf einer Wertung. Gute Eltern kümmern sich intensiv um ihre Kinder. Sie machen das nicht, um ihre eigene Glückseligkeit zu befördern, auch wenn dies ein Nebeneffekt sein sollte. Sie machen dies auch nicht aus einem moralischen Imperativ heraus, » aus Achtung vor dem Sittengesetz«, wie Kant das nennt, sondern sie tun dies, weil sie für dieses Leben eine Verantwortung haben und sie diesem Kind ein gutes Leben ermöglichen wollen. Sie sind zugleich davon überzeugt, dass sie eine Pflicht haben, sich so zu verhalten.
Es ist also nicht der eigene Wunsch, dieses oder jenes zu erreichen, sondern es ist die Überzeugung, dass dieser Wunsch einer elterlichen Pflicht entspricht. Aber diese elterliche Pflicht leitet sich nicht aus einem grundlegenden Imperativ ab, beruht nicht auf einem ethischen Prinzip. Man kann diese Auffassung verallgemeinern– und damit im gewissen Sinne zur
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