Der Sokrates-Club
Lebens zeigt, dass dieser Gegensatz überzeichnet ist. Während die Epikureer nach einem einfachen, überschaubaren Leben strebten und damit hofften, ihre Seelenruhe zu erreichen, fügten sich die Stoiker in die große, nach Vernunftgesetzen gestaltete kosmische Ordnung. Ihr Ziel der Leidenslosigkeit durch Kontrolle der Leidenschaften– pathos bedeutet im Griechischen sowohl » Leiden« wie » Leidenschaft«– und durch eine vernunftgemäße Lebensform zu erreichen ( apatheia ) ist ein Ideal, das dem der Unerschütterlichkeit, der ataraxia der Epikureer, nicht so fern steht, wie heute noch häufig angenommen wird.
Der Dreh- und Angelpunkt stoizistischer Lebenskunst ist die Unterscheidung zwischen dem, was wir kontrollieren können, für was wir daher Verantwortung tragen, und dem, was wir nicht beeinflussen können und das uns daher auch nicht beunruhigen sollte. Diapherein bedeutet im Griechischen » unterscheiden«. Entsprechend sind die adiaphora diejenigen Dinge, hinsichtlich derer wir keinen Unterschied machen sollten, weil wir sie nicht beeinflussen können: Eine Haltung der Indifferenz gegenüber den Segnungen und Unglücksfällen des Weltverlaufs. Der Stoiker fügt sich ein, gestützt auf eine deterministische Weltanschauung. Er weiß um die begrenzte Reichweite seines Einflusses und verspürt dennoch die Verpflichtung, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um das Gute zu erreichen. Ein beeindruckendes Dokument dieser Lebenshaltung bieten die Selbstbetrachtungen des römischen Kaisers Marc Aurel, der im 2. Jahrhundert, als mächtigster Mann der antiken Welt, seine Pflicht im Kriege erfüllte und bemüht war, sich von anderen möglichst wenig abzuheben. Der Stoiker unterscheidet sich vom Epikureer im Tonus, in der Spannung seiner alltäglichen Lebensführung. Der Epikureer sucht die Entspannung, der Stoiker ist bemüht, sich zu kontrollieren und seine Pflicht zu erfüllen. Diese beiden Pole der antiken Lebenskunst prägen auch die moderne Kultur, die der Arbeit und der Pflichterfüllung einerseits und die der Entspannung und Unterhaltung andererseits.
9. Was ist Philosophie?
»Philosophie« ist ein griechisches Wort, das übersetzt »Liebe zur Weisheit« bedeutet. In der griechischen Klassik des 4. und 5. Jahrhunderts vor Christus liegen die Wurzeln der europäischen Philosophie. Platon und Aristoteles gelten als die bedeutendsten Repräsentanten. Das hängt allerdings auch mit den Zufälligkeiten der Überlieferungsgeschichte zusammen: Die allermeisten Schriften aus dieser Zeit sind nicht erhalten. Von den Theorien der griechischen Philosophen der Antike können wir uns meist nur anhand von Bruchstücken, insbesondere Zitaten bei späteren, zumal römischen Autoren, ein Bild machen. Das ist bitter. Ich vermute zum Beispiel, dass Chrysipp, ein bedeutender Philosoph der Stoa, bis heute von großem, nicht nur historischem, sondern auch systematischem Interesse wäre. Chrysipp hat sich mit dem Thema der menschlichen Freiheit in einer natürlichen Ordnung, die von deterministischen, vorgegebenen Gesetzen bestimmt ist, auseinandergesetzt, also gerade dieses Thema in offenkundig großer Ausführlichkeit und Intensität behandelt, das heute wieder zahlreiche Artikel in den Feuilletons beschäftigt. Neurowissenschaftler behaupten, dass unser Gehirn, wie alles andere, was die Naturwissenschaft zu beschreiben sucht, einer deterministischen Kausalität, einer ursächlich bedingten Abhängigkeit gehorcht und von daher Freiheit und Verantwortung eine Illusion sei. Chrysipp war vor weit mehr als 2000 Jahren ebenfalls der Auffassung, dass die Natur von jenen deterministischen Gesetzen bestimmt ist, dass jedes Ereignis einer strengen deterministischen Kausalität gehorche, und doch seien Menschen für das, was sie tun, verantwortlich. Die strenge Unterscheidung zwischen dem, was unter unserer Kontrolle ist, und dem, was sich unserer Kontrolle entzieht, ist für einen Großteil des Denkens der sogenannten Stoa in der Antike charakteristisch.
Das stoische Denken ist eine Philosophie, man kann durchaus sagen eine Weltanschauung, die in der griechischen Klassik schon bald nach Aristoteles beginnt und in der römischen Antike dann zur Weltanschauung zumindest der Patrizierschicht, der römischen Elite, wird. Die Kontrolle der Gefühle, bis hin zu ihrer Auslöschung, ist dabei ein wichtiges Motiv ( apatheia ). Mit der Christianisierung des Römischen Imperiums kommt das Ende der Stoa, zumindest als dominierende
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