Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
Schule Kopfweh oder Magenschmerzen vor, um früher nach Hause gehen zu können. Sie wusste, war sie daheim, ehe Aoife von ihrem Mittagsschlaf erwachte, konnte sie mit ihr nach unten gehen oder in den Garten und ersparte ihrer Mutter das Gebrüll. Auf diese Weise schlief Gretta manchmal bis zum frühen Abend. Wenn Monica kochte, setzte sie das Kind mit Spielzeugpfännchen und -löffel in den Laufstall. Und wenn ihre Mutter dann mit zerknittertem Gesicht und noch immer leicht benommen in der Küche erschien, legte sie als Erstes die Hand auf Monicas Kopf und sagte, sie sei ein Engel, wirklich, ein Engel, von Gott gesandt. So stand dann Monica vor ihr, spürte die schwere mütterliche Hand und freute sich nicht so sehr über das Lob, sondern war nur erleichtert, es wieder einmal geschafft zu haben. Ein weiterer Tag lag hinter ihr.
Schon vor ihrem ersten Geburtstag konnte Aoife laufen und warf Sachen aus den Regalen, Tassen vom Tisch und schaufelte Asche aus dem Kamin. Mit anderthalb sprach sie in ganzen Sätzen wie »Ich will den roten Napf nicht, aus irgendeinem Grund will ich den grünen.« Mit zwei konnte sie bis fünfzig zählen, das Alphabet aufsagen und ein Gedicht über eine Maus. Monica hatte den Eindruck, ihre Eltern waren froh darüber. Es gab natürlich einen Grund, weswegen Aoife so war. Aoife war hochbegabt, Aoife war ein Genie. Was ihre Mutter veranlasste, bei jedem Zoff, den Aoife etwa in einem Geschäft veranstaltete, zu sagen: »Daran sieht man, wie intelligent sie ist.«
Entgegen allen Erwartungen lief es in der Schule jedoch nicht ganz so gut für Aoife. Jeden Tag kam sie tintenver schmiert und erkennbar missgestimmt nach Hause, und wenn Gretta fragte, mit wem sie in der Mittagspause gespielt habe, sagte sie gar nichts, sondern rutschte nur vom Stuhl und verkroch sich unter den Tisch. Auf dem Weg zum Sportunterricht sah Monica Aoifes Klasse einmal zufällig auf dem Pausenhof. Überall hatten sich kleine Gruppen gebildet, nur ganz hinten, unter einer Platane, stand ein Kind ganz allein, und dieses Kind kam ihr bekannt vor. Mit heruntergerutschten Strümpfen, losen Zöpfen unterhielt sich Aoife angeregt mit sich selbst.
Fast über Nacht wurde aus dem erst »schwierigen«, dann »hochbegabten« Kind ein »Problemkind«. Aus ihrem Schulfüller ergoss sich nur unleserliches Gekrakel aufs Papier, außerdem benutzte sie beide Hände gleichrangig zum Schreiben, eine echte Schreibhand schien sie nicht entwickeln zu wollen. Sie schrieb das Doppel-S seitenverkehrt, und das T stand auf dem Kopf. Es gab keine Wortzwischenräume, dafür aber willkürliche Leerstellen mittendrin.
»Pass mal auf, Aoife«, sage ihre Mutter. »Das ist ein A, ein schönes großes A, siehst du? A wie Apfel oder Amen oder Aoife.
Aoife begann, mit den Fersen gegen die Stuhlbeine zu treten und blickte verkniffen auf den Buchstaben. Dann legte sie ihren Kopf auf den Arm und schloss die Augen.
»Siehst du es?«, bohrte Gretta.
»Mmm«, antwortete Aoife in ihren Ärmel.
»Dann kannst du für mich sicher auch ein A schreiben?«
»Nein.«
»Und warum nicht?«
»Weil es aussieht wie ein Haus von der Seite. Wie ein aufgeschnittenes Haus, wo alle Leute rausgefallen sind und …«
»Gut, dann gehen wir weiter zum B.« Gretta wollte auf jeden Fall hart bleiben. Die Lehrerin hatte gesagt, Aoife bräuchte eine starke Hand und man dürfe nicht jeder Laune von ihr nachgeben. »Also: B wie …«
»Ball«, sagte Aoife. »Und Birne und breit und Busen und Bratarsch. Mrs Saunders hat den dicksten …«
»Aoife, das sagt man aber nicht von anderen Leuten.«
»… den fettesten Bratarsch, den du je gesehen hast. Der passt nicht mal in den Lehrerstuhl, sie muss sich immer so …«
»Aoife!«
»… so seitlich hineinquetschen.«
Michael Francis, der ebenfalls am Tisch saß und seine Geometrie-Hausaufgabe machte, fing an zu kichern. »Stimmt aber«, sagte er. »Sie hat voll den Riesenarsch.«
Gretta sprang auf und feuerte das Übungsbuch auf den Boden. »Ich weiß nicht, warum ich mir überhaupt die Mühe mache«, rief sie. »Ich tue alles, damit du im Schreiben endlich besser wirst, aber dir ist ja alles egal. Du versuchst es nicht mal. Ohne ein kleines bisschen Mühe geht es aber nicht, Aoife. Heutzutage kann jeder, jeder lesen! Also tu endlich was. Himmelherrgott, was hätte ich darum gegeben, wenn ich damals in die Schule gekonnt hätte. Aber du, du wirfst das alles weg, als wäre es nichts!«
Mrs Saunders sagte, dass Aoifes Lesefertigkeit
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