Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
heiß waren. Monica hingegen dachte nur, dass sie allmählich mit der toten Katze herausrücken musste, sonst wäre es schon sehr merkwürdig.
»Peter …«, unterbrach sie ihn.
»… ist mir schleierhaft, warum wir nicht früher darauf gekommen sind: neue oder gebrauchte Sachen auf alt trimmen. Den Unterschied merkt kein Mensch. Genial.« Er umfasste ihre Hüfte und drückte sich an ihre schönen Perlenknöpfe. Perlen, die aussahen wie gefrorene Tränen. »Du musst zugeben, dein Mann ist ein Genie.«
»Schatz, ich …«
Vom Flur aus meldete sich abermals das Telefon. Peter ließ sie los und wollte hingehen.
»Lass«, sagte sie und fing plötzlich und unerklärbar an zu weinen. Tränen, die aus dem Nichts kamen und ihr über die Wangen liefen und erst vom Stehkragen ihres Kleids aufgefangen wurden. »Peter«, sagte sie, »Peter, ich muss dir etwas sagen …«
Und er, er war sofort da und nahm ihr Gesicht in seine Hände. »Was ist denn los? Ist etwas passiert?«
Das Telefon klingelte einfach weiter. Wer zum Teufel nervte sie so? Warum konnten die Leute nicht einfach auflegen, und warum war ihr heute dauernd zum Heulen zumute?
»Was ist passiert?«, sagte Peter.
Monica wollte schon sagen: Aoife war heute hier, und Aoife hat gesehen, wie … Die Worte lagen ihr auf der Zunge.
Aber sie schaffte es nicht, sie zur Lüge werden zu lassen. Sie blockierte sie rechtzeitig, schluckte sie hinunter und verwandelte sie in »Die Katze ist tot.« Geschafft, sie hatte es getan. Es war ausgesprochen. Nicht nur vor ihrem Mann, sondern auch, was noch wichtiger war, vor dem Vater der Kinder, die diese Katze abgöttisch liebten.
Beim Abendessen – ein Schmortopf, von ihr zubereitet, der ganz gut ankam – klingelte das Telefon schon wieder. Sie hatte das Rezept aus einer Zeitschrift, und der Clou waren die Trockenaprikosen. Normalerweise mochte sie keine süßen Sachen in deftigen Mahlzeiten, aber das hier war gar nicht schlecht.
Peter ging ans Telefon. Sie goss sich von dem Roten nach, der kehlig aus der Flasche gluckerte. Sie riss ein Stück Kruste vom Brot und aß die weichen Teile. Sie hatte das zittrig-ausgewaschene Gefühl, wie man es nach einer Runde heulen bekommt. Wie eine Londoner Straße, nachdem ein Wagen der Straßenreinigung darübergefahren ist und nur dunklen, nassen, sauberen Asphalt zurücklässt.
Auf einmal war Peter wieder im Zimmer, sie drehte sich zu ihm hin.
»Monica …«, sagte er und fasste ihre Schulter an.
Ihr gefiel seine Stimme nicht und auch nicht sein ernstes Gesicht. »Was ist?«, fragte sie und zuckte gleichzeitig vor seiner Berührung zurück. »Was ist los?«
»Dein Bruder ist am Telefon.«
Sie starrte ihn weiter an. »Was ist denn passiert?«
»Das besprichst du besser mit ihm.«
Einen Moment lang saß sie wie erstarrt, dann lief sie los. Auf halber Strecke hatte sie das Gefühl, dass die Holzdielen unter ihr nachgaben, und sah sich auf einmal am Rand eines Zusammenbruchs. Deswegen also war ihr schon den ganzen Tag zum Heulen zumute, schien selbst die Luft um sie herum aufgeladen von Unheil. Sie wusste es insgeheim schon. Sie wusste, was Michael Francis jetzt sagen würde. Nämlich dass Aoife etwas zugestoßen war, vielleicht bei einem Autounfall. Oder war sie ertrunken, nach einer Überdosis nicht mehr aufgewacht, durch einen Mord, durch eine entsetzliche Krankheit ums Leben gekommen? Auf jeden Fall rief ihr Bruder jetzt an, um ihr mitzuteilen, dass ihre Schwester tot war.
Ihre Beine gehorchten ihr nicht mehr, sie schaffte es nicht einmal bis zur Tür. Sie wollte dort im Esszimmer bleiben, bei dem Wein und dem guten Essen. Sie wollte das alles nicht hören.
Sie habe nun ein neues Schwesterchen, hatte die Krankenschwester gesagt, als Monica damals am Fenster der Säuglingsstation stand, wo die Babys aufgereiht lagen wie Brote in einer Bäckerei. Also ein Mädchen. Was man aber gar nicht so genau sah, weil es in tausend Decken, Windeln und Tücher eingewickelt war. Das Baby hatte ein rotes Gesicht und winzige Fäustchen, die es fest geschlossen hielt. Das Baby sollte Aoife heißen. Aoife Magdalena Riordan, ein langer Name für so einen Winzling.
Und dann öffnete das Baby den Mund und fing an zu schreien und hörte erst einmal nicht damit auf. Die kleine Aoife schrie, weil sie gefüttert werden wollte, sie schrie, während sie gefüttert wurde und sogar nachdem sie gefüttert worden war. Sie schrie so sehr, dass sie die Milch, die sie gerade getrunken hatte, komplett wieder
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